Prophetengift: Roman
ein wenig Frieden findet? Wie wird er wissen, dass ich mit dir gesprochen habe und mir nicht einfach ausdenke, dass du an einem sicheren Ort bist?«
»Sag ihm ... sag ihm, es sei wie mit Rupert – ich wedle noch, man kann es nur nicht mehr hören.«
»Was?«, fragte Sebastian. »Ich verstehe nicht.«
»Er wird wissen, wovon ich rede. Sagst du bitte meinen Eltern, dass ich sie sehr lieb habe? Sag ihnen, ich werde sie immer lieben und ich werde über sie wachen – jedenfalls für eine Weile. Ach, deine Mutter ist gerade eingetroffen und deine Freundin ist oben und wartet auf dich. Übrigens ist mir gesagt worden, dass deine Mutter diejenige war, die das alles ausgelöst hat, es ist alles ihre Schuld. Sprich sie doch mal auf Hilda an und stell fest, wie sie darauf reagiert. Aber jetzt muss ich gehen, es ist jemand gekommen, der mich abholen will. Danke, dass du
mit mir gesprochen hast, großer Kerl. Und denk daran, von jetzt an musst du auf der Hut sein – aber das wirst du dir ja schon gedacht haben. Bis bald.«
Das Echo seiner letzten Worte verhallte, während das Quietschen der Apparate und die Stimmen der Menschen in der Intensivstation wieder stärker wurden und anschwollen. Sebastian öffnete die Augen und sah, dass Ramon und Maggie, Tess und Chuck während seiner Meditation zum Krankenbett zurückgekehrt waren.
Dann hörte er, dass der Herz-Kreislauf-Monitor den Herzstillstand anzeigte.
» Mijo «, schluchzte Ramon. » Mijo, mijo, mijo .«
Tess weinte und Chuck wischte sich die Augen.
Sogar Maggie in ihrem reduzierten Zustand reagierte auf den Ernst des Augenblicks.
Sebastian blickte auf und sah, dass Mateo tatsächlich gegangen war. Trotz der mechanischen Beharrlichkeit des Dauerbeatmungsapparats war unverkennbar, dass da nur noch eine leere Hülle lag.
Sebastian nahm Ramons trockene, schwielige Hand. Dabei erinnerte er sich an den Tag, an dem Ramon das Dach von Tess’ und Libbys Landgasthaus geflickt hatte, und wie sehr er, Sebastian, sich anfangs gesträubt hatte, ihm zu helfen.
Eine Ärztin erschien und legte die Hand auf Ramons Schulter. »Darf ich den Beatmungsapparat ausschalten?«, fragte sie sanft.
Ramon nickte. »Sein Herz ist stehen geblieben. Mein Sohn ist fort.«
Die Ärztin trat zu einer Schalttafel und drückte ein paar Knöpfe.
Der Beatmungsapparat verstummte.
»Todeszeitpunkt: neun Uhr zweiundvierzig«, teilte sie der Schwester mit.
»Es tut mir so leid«, sagte Sebastian zu Ramon. »Es tut mir so furchtbar leid.«
Ramon kniff die Augen zusammen und Tränen liefen über seine faltigen, sonnenverbrannten Wangen.
»Wir warten draußen.« Tess nahm Maggies Hand und begann sie fortzuführen. »Ich teile der Polizei mit, was geschehen ist.«
»Ich komme mit«, sagte Chuck zu ihr.
Und dann waren Ramon und Sebastian miteinander allein.
»Sie wissen nicht«, begann Ramon mit leiser, brechender Stimme, »wie mein Leben von heute an aussehen wird, nachdem mein geliebter Mateo von uns gegangen ist. Sie kennen die mörderischen Gedanken nicht, die ich im Herzen trage, meinen Wunsch, durch die Straßen zu streifen, bis ich die Teufel finde, die meinem Sohn das angetan haben. Sie wissen nicht, wie innerlich zerrissen ich mich fühle, als hätte Gott ... mir das Herz mit einer Axt herausgehauen. Ich will diese Teufel finden und sie von einer Klippe stürzen oder sie mit meinem Wagen umbringen oder ... ihnen den Kopf mit einem Hammer einschlagen, damit sie wissen, wie sich das anfühlt! Sie wissen es nicht!«
»Sie haben jedes Recht, so zu empfinden«, sagte Sebastian. »Und ich hoffe, ich werde nie am eigenen Leib erfahren müssen, wie Sie sich jetzt fühlen. Aber ich muss Ihnen etwas sagen: Mateo hat mit mir gesprochen, bevor er starb.«
»Er hat mit Ihnen gesprochen?« , rief Ramon entsetzt aus. »Mein Junge hat gesprochen und ich war nicht hier?«
Sebastian wedelte mit den Händen. »Nein, nein, nein. Ich habe seine Gedanken gehört. Wir beide haben im Geist kommuniziert.«
»Wie Sie es bei Libby getan haben?«
Sebastian schnitt eine Grimasse. »So in der Art. Jedenfalls, Mateo sagte, er sei jetzt wie Rupert: ›Ich wedle noch, aber du
kannst mich nicht mehr hören‹, hat er gesagt. Wissen Sie, was das bedeuten soll?«
»Er hat Ihnen von Rupert erzählt? Von unserem Hund?« Ramons Augen glänzten. »Ist das irgendein Trick?«
»Nein, ich schwöre es. Ehrlich, er bat mich diese Botschaft weiterzugeben, kurz bevor er starb.«
Ramon lächelte. »Gott ist gut. Gott ist
Weitere Kostenlose Bücher