Prophetengift: Roman
Zustand. Einfach furchtbar. Bist du in der Verfassung, das für uns zu tun, Sebastian? Würdest du das bitte für uns tun?«
»Aber was soll ich denn tun? Was kann ich tun?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht einmal, warum ich dich bitte herzukommen, aber irgendwas sagt mir, dass du vielleicht
helfen kannst – insbesondere nach dem, was du Libby über ... über mich erzählt hast. Über meine Zukunft.«
»Tess, es ist schon gut.« Er wechselte einen besorgten Blick mit Chuck. »Wir rufen gleich die Schwester.«
43
Der angespannte, besorgte Sebastian tat sein Bestes, die Ängste seiner Mitpatienten auszublenden, die ihn ergriffen wie ein Wirbelwind, als eine Krankenschwester ihn durch die Flure zum Fahrstuhl schob. Chuck folgte ihnen, als sie in den zweiten Stock hinunterfuhren.
Sie bogen um eine Ecke und Sebastian sah Tess mit einer gebrechlichen älteren Frau zusammensitzen. Sie hielten sich bei den Händen und hatten die Köpfe gesenkt.
»Tess!«, rief Sebastian von seinem Rollstuhl aus.
Tess blickte auf. »Gütiger Himmel«, rief sie aus und stand auf, um sie zu begrüßen. Dann entdeckte sie Sebastians bandagierten Fuß. »Ich wusste es. Ich hätte dich nicht zwingen dürfen herzukommen!«
»Es sieht schlimmer aus, als es ist. Ein Fuß ist noch zu gebrauchen.« Er versuchte zu lächeln. »Ist das Maggie?«
Als ihr Name fiel, lächelte die winzige dunkelhäutige Frau. »Hallo«, rief sie fröhlich, obwohl ihr Blick abwesend blieb.
Sebastian schaute Tess an. »Ist ihr klar, was ...?«
»Gott sei Dank nein«, erwiderte Tess. »Ausnahmsweise ist diese verfluchte Krankheit mal ein Segen.«
»Was ist passiert?«
»Die Polizei sagt, Mateo wurde zusammengeschlagen. Es sollte so aussehen, als wäre er bei einem normalen Unfall verletzt worden. Die Täter haben ihn hinter das Steuer seines Wagens gesetzt und dort zurückgelassen, sie hielten ihn wohl für
tot. Dann wurde er mit dem Rettungshubschrauber von der Unglücksstelle nach San Jose transportiert und von da weiter nach San Francisco, weil sie hier auf Kopfverletzungen spezialisiert sind.« Tess beugte sich vor und fügte leise hinzu: »Die Ärzte haben ihn offiziell für hirntot erklärt, es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis sein Vater entscheidet, dass es Zeit ist, sich von ihm zu verabschieden.«
»Warum sollte jemand den Jungen so zurichten?«, fragte Chuck.
»Weiß man nicht«, sagte Tess. »Die Schweine haben noch nicht mal seine Brieftasche mitgenommen, und in seiner Tasche steckten noch die Trinkgelder, die er im Restaurant bekommen hat. Man vermutet – und wohl zu Recht –, dass er aus Hass zusammengeschlagen wurde, wegen des Regenbogenstickers an seinem Auto.«
»Ist Ramon da drin?«, fragte Sebastian.
»Er wartet auf dich. Er hofft, dass du irgendwas tun kannst. Irgendwas.«
»Was glaubt er denn, das ich tun kann? Was hast du ihm erzählt?«
»Libby hat ihm von deiner Vision erzählt. Du weißt schon, als du mich und irgendeine Frau in New York gesehen hast.«
»Das hat Libby ihm erzählt?«
Mit einem schwachen Lächeln nickte Tess. »Sie war ganz gerührt. Ramon ebenfalls.«
»Ich werde tun, was ich kann. Aber bitte erwartet keine Wunder von mir.«
Tess folgte mit Maggie, während Chuck der Schwester half, den Rollstuhl durch die überfüllten Flure der ITS zu schieben, vorbei an Patienten, Besuchern, Ärzten und Pflegern, bis sie bei Mateos Bett anlangten. Tess verschwand hinter den Vorhängen und hielt sie auf, während die Schwester mit Chucks Hilfe den Rollstuhl an das Krankenbett bugsierte, Mateo gegenüber.
Sebastian sah, dass der junge Mann beatmet wurde und seine Hände stark bandagiert waren. Nur ein kleiner Teil seines Gesichts war sichtbar, denn der Kopf war zur Gänze von einem makellos weißen Verband bedeckt, aus dem ein dicker Plastikschlauch ragte. Sebastian warf einen Blick auf Mateos Nachttisch und sah, dass neben einem Strauß roter Rosen eine gerahmte Porträtaufnahme aus glücklicheren Zeiten stand: Ein gut aussehender junger Mann lachte zusammen mit seiner Mutter.
Was für Ungeheuer haben das nur getan?
Ramon saß auf einem Stuhl an der Seite seines Sohnes. »Mi amigo«, sagte er zu Sebastian, »ich bin froh, dass Sie wieder gesund werden. Bitte vergeben Sie mir, dass ich Sie trotz Ihres Gesundheitszustandes darum bitte, aber könnten Sie etwas für uns tun? Ich habe den Rosenkranz gebetet, bis meine Finger taub waren, aber weder von der Heiligen Jungfrau noch von Gott scheint
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