Prophetengift: Roman
dass es keine Wiedergeburt gibt, denn ich finde es einleuchtend, dass wir frühere und zukünftige Leben hier haben – und es scheint auch tatsächlich Belege für Inkarnationen zu geben. Doch meine Intuition sagt mir, dass irgendetwas nach diesem Leben kommt, etwas Gutes , doch was es ist, weiß ich nicht, zumindest noch nicht.« Er lächelte die beiden Frauen entschuldigend an.
»Damit kann ich leben«, meinte Tess schließlich.
»Ich ebenfalls«, echote Libby.
Tess stand von ihrem Stuhl auf. »Ich hole mal die Muffins.«
Sebastian und Libby schauten ihr nach, bis sie im Haus verschwunden war.
»Du hast uns so sehr geholfen«, sagte Libby. »Und dabei bin ich doch die Therapeutin. Ich wünschte, es gäbe etwas, das ich für dich tun kann.«
Sebastian schaute sie an. »Eigentlich ... weißt du etwas darüber, wie man seine Gedanken kontrollieren kann?«
»Was meinst du damit?«
»Manchmal bekomme ich zu viele Informationen, beispielsweise als ich dich und Tess in der Arztpraxis gesehen habe«, erwiderte Sebastian. »Ich empfange Gedanken ... und Empfindungen, Sinneswahrnehmungen, die mich manchmal wirklich mitnehmen – und dann weiß ich nicht, was ich tun soll.«
»Sind diese Empfindungen und Sinneswahrnehmungen« – Libby rückte die Decke über ihren Beinen zurecht – »etwas, über das du Gewalt hast? Ich meine damit, ermutigst du es auf irgendeine Weise?«
»Ich weiß nicht, woher sie kommen«, erwiderte er, »und ich kann nie vorhersagen, wann es mich trifft.«
Libby seufzte nachdenklich. »Mit Telepathie kenne ich mich nicht aus, mein Lieber. Aber über die menschliche Psyche weiß ich ziemlich viel, und ich kann dir sagen, was mich und Tess durch diese ganze Krebsgeschichte gebracht hat.«
»Was denn?«
»Hoffnung«, erklärte Libby. »Hoffnung und Verdrängung.«
»Verdrängung?«
»Wenn es kein vernünftiges Maß an Hoffnung mehr gibt, an dem man sich festhalten kann, gibt es immer noch die Verdrängung, die trostlose Schwester der Hoffnung. Und wenn man mit so etwas konfrontiert wird wie ich und Tess, errichtet man eine Mauer im Kopf – eine undurchdringliche Barriere zwischen dem Bewusstsein und dem, was man am meisten fürchtet«, erklärte Libby. »Wir Therapeuten tun ja normalerweise unser Möglichstes, um etwas ins Unterbewusstsein Verdrängtes wieder ins Bewusstsein zu holen, aber manchmal, wenn alles andere fehlschlägt, ist Verdrängung alles, was man braucht, um zu überleben.«
Sebastian dachte über ihre Worte nach. »Ich weiß noch immer nicht genau, was du meinst.«
Libby trank einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht.
»Kalt geworden«, sagte sie. Dann schaute sie Sebastian an. »Ich könnte mir vorstellen, wenn du versuchst, deine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu richten – etwas Angenehmes –, sobald diese ungewöhnlichen Empfindungen auftauchen, wird es gehen. Glaubst du, du könntest das versuchen?«
»Klar.« Sebastian zuckte die Achseln. »Aber ist es wirklich so einfach?«
»Einfach ist es nie.« Lachend nahm Libby ihren Kaffeebecher und stieß mit ihm an. »Aber es funktioniert.«
22
Der Herbstmorgen war frisch und klar, also brauste Sebastian mit weit offenem Schiebedach munter nordwärts, während der Fahrtwind pfiff und sein iPod durch das erstklassige Soundsystem des Porsche Cayenne jaulte und dröhnte.
Er war noch nie über die Küstenroute nach San Francisco gefahren und war wie geblendet von der malerischen Landschaft. In manchen Küstenabschnitten verknotete und wand sich die Straße wie ein alter Schnürsenkel und verband Meilen um Meilen steiler, zerklüfteter Gebirgsausläufer miteinander, während man nur wenig später auf runde, sonnenüberflutete Hügel blickte, die sich zu einer stillen, türkisgrünen Bucht hinunterzogen. Einmal kam Sebastian an einer Wiese vorbei, auf der eine Herde träger brauner Kühe hauste, und später geriet er in dichten Nebel, der wie Schneetreiben kaskadenartig auf die Straße hinunterfegte und ihm die Sicht nahm, aber vor der nächsten Serpentine bereits wieder verschwunden war.
Nach dem Überqueren der majestätischen Bixby Bridge, deren Anblick etwas Berauschendes hatte, entdeckte Sebastian eine Parkbucht. Da er Hunger bekommen hatte, beschloss er zu halten und einen von Tess’ Muffins zu essen. Er schwenkte zum Straßenrand, zog die Bremse an und stellte den Motor des großen Wagens ab. Dann schnappte er sich seinen Plastikbeutel mit Muffins und seine Flasche Wasser, schaute nach rechts und
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