Prophetengift: Roman
Lilly hieß – zu Sebastian und blickte ihn mit zusammengekniffenen Augen an, als wollte sie herausfinden, woher sie ihn kannte. »Die ist jetzt frei. Außerdem habe ich noch eine Carver mit fünfunddreißig Fuß, die später am Nachmittag reinkommt. Das größere Boot eignet sich bei rauer See zwar verdammt viel besser, dafür berappen Sie für Benzin und Miete aber auch etwa doppelt so viel.« Sie tippte mit ihrem Kugelschreiber auf den Tresen. »Welches hätten Sie gern?«
Sebastian warf Reed einen Blick zu, dann schaute er wieder zu der Frau mit der ledrigen Gesichtshaut. »Das Boot, das jetzt frei ist, reicht vollkommen. Mit einem so großen Boot wie der Carver würde ich wahrscheinlich nicht klarkommen. Hat das kleinere eine Kajüte zum Schlafen?«
»Die Sea Ray verfügt laut Hersteller über sechs Schlafplätze«, antwortete Lilly, »aber bei mehr als vier Personen wirds ziemlich eng. Wie lange möchten Sie das Boot denn mieten?«
Sebastian schaute wieder zu Reed, aber sie wich seinem Blick aus. »Wären zwei Wochen möglich?«
»Das wird Sie eine Stange Geld kosten«, erklärte sie und runzelte die dicken Augenbrauen, »aber ich kann ein, zwei Tage als Rabatt abziehen. Wie möchten Sie zahlen?«
Sebastian zog eine seiner Kreditkarten aus der Brieftasche und reichte der Frau etwas zögernd die American Express,
in dem Wissen, dass seine Mutter das Konto möglicherweise schon gesperrt hatte.
Lilly las den Namen. »Oh. Dachte mir schon, dass Sie mir irgendwie bekannt vorkommen – bis auf die Haare.«
»Es wäre schön, wenn das hier unter uns bliebe.« Sebastian fingerte erneut in seiner Brieftasche und hielt der Frau zwei Hundert-Dollar-Scheine hin. »Einverstanden?«
Lilly steckte die Scheine in die Hosentasche. »Kein Problem. Füllen Sie einfach das hier aus.« Sie reichte ihm ein Klemmbrett mit einem mehrseitigen Mietvertrag. »Sie wissen, wie man mit der Instrumentenkonsole und dem Funkgerät umgeht, ja?«
»Ich bin auf dem Wasser aufgewachsen«, flunkerte Sebastian. »Wir hatten eine Yacht unten in Marina del Rey liegen. Aber jedes Boot ist anders, deshalb wäre es prima, wenn Sie mich kurz einweisen könnten.«
»Kein Problem«, sagte sie wieder und wischte die Kreditkarte durch das Lesegerät.
Kurz darauf tickerte – zu Sebastians Erleichterung – das Lesegerät und spuckte einen langen Streifen weißen Papiers aus.
Kitty hat die Kreditkarten nicht gesperrt, weil Sie wissen will, wo ich stecke ... Aber das ist mir egal.
Kurz darauf folgten Sebastian und Reed – Einkaufstüten mit Lebensmitteln in den Händen – der Frau auf den verwitterten und durchhängenden Stegplanken in den hinteren Teil des Yachthafens, am Hafen-Shop vorbei. Auf ihrem kurzen Fußweg kamen sie an luxuriösen Kabinenkreuzern, eleganten Segelbooten und Whalern vorbei, die sichtlich gut in Schuss waren, bis sie vor einem etwas verloren wirkenden, schmutzigen weißen Boot mit einem verblichenen und zerschlissenen blauen Verdeck aus Segeltuch stehen blieben.
»Und wie alt ist der Kahn?«, fragte Sebastian.
»So alt wie Sie, etwa zwanzig Jahre«, antwortete Lilly und drückte sich mit ihrem voluminösen Bauch gegen die weiß gestrichene Reling. »Aber keine Sorge, das Boot fährt sich gut. Wir haben erst in der letzten Saison die Motoren überholt und die Bilgenpumpe spuckt Wasser wie ein Feuerhydrant.«
»Es sieht aus, als würde es gleich sinken«, fügte Reed hinzu.
»Ach, noch etwas«, fuhr die Frau fort und ignorierte das Paar. »Beide Tanks – Diesel und Wasser – sind voll, achten Sie also bitte darauf, dass sie es bei Rückgabe auch sind.«
Während sie zu dritt um das Boot herumgingen und die Bootsvermieterin auf die verschiedenen Ausstattungsmerkmale hinwies, sah Sebastian, dass es auf den Namen Lil’s Bastard getauft war. Er zeigte auf den Schriftzug. »Ich dachte, es bringt Unglück, ein Schiff auf einen männlichen Namen zu taufen.«
»Mädchen können auch Bastarde sein, oder?«, erwiderte Lilly trocken. »Aber egal, wir sind hier in San Francisco, deshalb interessiert uns die Frage von Männlein oder Weiblein nicht besonders.«
Vorsichtig stiegen sie an Bord. Dann, nachdem Lilly den jungen Leuten das Funkgerät, die Navigationsgeräte, die Schaltung für Gas und Getriebe, die Bilgepumpen und die Drehzahlregler für das Motorgebläse gezeigt hatte, halfen sie ihr aus dem Boot, verabschiedeten sich und blickten ihr nach, wie sie schwerfällig auf dem Steg zu ihrem Büro
Weitere Kostenlose Bücher