Prophezeiung
afrikanischen und mittelamerikanischen Hafenstädten entwickelte. Er hatte weder Interesse an Militärfahrzeugen noch an Menschenmassen, die an Zäunen rüttelten, noch an Feuern und Explosionen.
Und so klinkte er sich aus. Schaltete auf Durchzug, blendete die Geräusche aus, alles, was um ihn herum passierte, zog seinen iAm heraus und studierte die Listen, die Philipp ihm geschickt hatte. Die zahllosen Namen und Firmen, die am IICO beteiligt waren, die dieses Großprojekt seit 2005 geplant und Realität hatten werden lassen. Die ganze Konstruktion war auf den ersten Blick einfach nur verwirrend, denn es waren 26 verschiedene Risikokapitalgeber beteiligt, eine ungewöhnlich hohe Zahl. Warf man einen Blick in die Beteiligungsstrukturen der einzelnen 26, wurde man regelrecht erschlagen von Teilhabern, die wiederum größtenteils aus kleinen Venture-Capital-Firmen bestanden. Erst der Blick auf die jeweils maßgebenden Firmen auf der zweiten Hierarchieebene brachte etwas mehr Klarheit. An fünfzehn der 26 Risikokapitalgesellschaften besaßen jeweils große, multinational operierende Konzerne die Mehrheitsanteile, bei den verbleibenden elf waren die Verhältnisse komplizierter. Aber Philipp hatte recht gehabt mit seiner Vermutung, dass auf der dritten Hierarchieebene eine einzige Firma die elf kontrollierte, teilweise wiederum verborgen hinter den jeweiligen Mehrheitseignern der elf. Man musste sich allerdings bis ganz nach unten durchwühlen und dann wieder in Richtung Spitze schielen, durch den Firmen- und Beteiligungsdschungel, um zu begreifen, dass neben einem knappen Dutzend namhafter großer Energieversorger vor allem eine Firma die Geschicke des IICO lenkte. Eine scheinbar kleine Firma mit dem schönen Namen Solunia. Eiseles Firma.
Beck sah auf. Er brauchte dringend einen vernünftigen Browser, und zwar nicht den seines iAm. Den hatte er schon am Morgen versehentlich zweimal benutzt, um Olsen und eine von Gerrittsens Damen anzurufen, bevor ihm wieder eingefallen war, dass er die unschönen ortungssicheren Gaia-Handys zu benutzen hatte; er hielt die Vorsichtsmaßnahme zwar für übertrieben,aber er wollte sich auch nicht bei einer zweistündigen Netzsession am Esstisch der paranoiden Weltverbesserer erwischen lassen. Also schaute er sich nach einem freien PC -Arbeitsplatz um und sah überrascht, dass Nina tatsächlich gerade aufgestanden war und mit einem Lächeln an ihm vorbei auf die Küche zumarschierte, wo drei andere Frauen und Männer begonnen hatten, das Mittagessen zuzubereiten.
Ihr Rechner stand einladend verwaist auf seiner Holzplatte. Und Beck beschloss, die Zeit für eine gründlichere Solunia-Recherche zu nutzen, denn was er vor allem wissen wollte, war nicht, wofür der Verein sein Geld ausgab, sondern womit Solunia eigentlich Geld verdiente.
Er wollte gerade von seinem Platz am noch verwaisten langen Esstisch aufstehen, als die schönsten Töne aus Holsts Jupiter erklangen. Beck griff eilig nach seinem iAm, sah auf dem Display, dass der Anrufer Philipp war, drückte eilig auf Empfang und verbarg den iAm so gut wie möglich in seiner ans Ohr gedrückten Handfläche, noch ehe irgendeiner der Gaias mitkriegte, dass er schon wieder gegen die Hausordnung verstieß.
»Ich hab dir doch meine andere Nummer gegeben«, begrüßte er Philipp.
»Stimmt«, sagte der viel zu lässig, »aber die hab ich irgendwie verbaselt. Hast du die Bilder aus dem Hotel?«
»Noch nicht«, sagte Beck und sah hinüber zu Oskar, der jetzt ebenfalls seinen Arbeitsplatz verließ und auf den Tisch zukam. Auch die meisten anderen der Bildschirmarbeiter hatten sich in Bewegung gesetzt, halfen in der Küche, stellten Geschirr, Gläser und Wasserkaraffen auf den Tisch. Beck stand auf, ging auf die Tür zu, durch die jetzt weitere Gaias von draußen hereinkamen, nass und schmutzig, und ihre Jacken an die Garderobenhaken neben dem Eingang hängten. Er warf einen sehnsüchtigen Blick auf die herrlich unbesetzten Arbeitsplätze, aber er wusste, dass er jetzt ohnehin keine Chance hatte, dort im Netz zu recherchieren. Jedenfalls nicht sonderlich unauffällig, wenn gleichzeitig die gesamte Gaia-Truppe am Tisch zusammensaß und zu Mittag aß.
»Die wissenschaftlichen Mitarbeiter hier haben andere Aufgaben zu erledigen, Propagandavideos, damit die Welt möglichstnoch schneller ins Chaos rutscht. Wir stehen nicht direkt oben auf der Prioritätenliste, aber Oskar kümmert sich drum.«
»Wann?«
»Sobald er seinen dritten Film oben hat.
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