Prophezeiung
nachweislich allein verantwortlich für die drohende Katastrophe. War nicht, wenn schon, Japan das Land der aufgehenden Sonne?
»Ja«, sagte sie abwesend zu Philipps Rücken, »schöne Grüße. Und frag den mal, wo er überhaupt steckt.«
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36 Thilo Beck steckte fest, und das in jeder Hinsicht. Fest im Regen und im Schlamm, mitten auf einem Ökoterroristenhof im ostdeutschen Nirgendwo, aber erst recht fest bei seinem Versuch, Bjarne Gerrittsen ausfindig zu machen. Die Damen aus dessen Adressbuch waren nämlich schwer zu erreichen oder gingen grundsätzlich nicht ans Telefon, sondern ließen die Mailbox anspringen oder blieben neben dem Anrufbeantworter sitzen, um erst mal zu hören, welcher Freier anrief. So konnte Thilo nur in höflichem Spanisch seine Bitte um dringenden Rückruf hinterlassen und die Versicherung, es sei wichtig, aber das hatte bislang nicht viel genützt. Lediglich eine der Damen, eine gewisse Conchita, war so nett gewesen zurückzurufen. Sie hatte sehr jung geklungen und schon am Vormittag sehr betrunken, und sie hatte keine Ahnung gehabt, wo Don Bjarne steckte oder stecken konnte. Gesehen hatte sie ihn aber ohnehin schon seit Monaten nicht mehr, ihres Wissens trieb er sich in letzter Zeit mit Rafaela herum, deren Telefonnummer sie Thilo freundlicherweise verriet. Sie versicherte ihm sogar, sie werde Rafa seinen Gruß ausrichten und sie bitten, ihn anzurufen. Aber Thilo war alles andere als sicher, ob Conchita sich länger als drei Minuten nach dem Auflegen noch an dieses Versprechen erinnern würde.
Er hinterließ Nachrichten auf vielen Bändern und kam sich allmählich vor wie Callcenter-Drücker, aber er wusste nicht, was er sonst tun sollte, um Gerrittsen auf die Spur zu kommen. Nach La Palma fliegen und selbst nach ihm suchen? Davon abgesehen,dass es nicht einfach sein würde, einen Flug zu bekommen, jetzt, da halb Deutschland auf Wartelisten und Flughäfen stand – was sollte er, selbst wenn er einen freien Platz ergatterte und binnen der nächsten Tage auf die Insel zurückkehren könnte, dort unternehmen? Bei allen Damen vorbeifahren? Sie an ihren Arbeitsplätzen am Straßenrand und in den Bars persönlich aufsuchen? Auf den Nachbarinseln weiterforschen, wo Gerrittsen ebenfalls Beziehungen unterhalten hatte?
Der Professor selbst machte es jedenfalls genauso wie seine Damen. Er rief nicht zurück. Inzwischen war sogar seine Mailbox aus. Oder voll.
Was das betraf, konnte Beck also nur noch hoffen. Und warten. Hoffen, dass Gerrittsen überhaupt noch lebte, und warten, dass er sich meldete. Sofern er das tat, musste Beck ihn dann nur noch überreden, ihm einen Zugang zu Prometheus ’ Hirn zu gestatten. Sollte es so weit kommen und der Professor die berechtigte Frage äußern, was Beck denn bitteschön mit diesem Zugang zu seinem persönlichen Allerheiligsten wolle, stand der Bittsteller vor dem nächsten Problem, nämlich der Erfindung einer eleganten Lüge. Denn die Antwort: »um Ihr ganzes Programm als kunstvoll aufgeblasenen Fake zu entlarven«, würde Gerrittsen wohl kaum animieren, begeistert all seine Firewalls niederzureißen.
Aber momentan stellten sich solche taktischen Fragen nicht. Denn falls Gerrittsen längst tot im Meer trieb und sein Wissen und seine Passwörter mit zu den Fischen genommen hatte, konnte Beck sich alle weiteren Prometheus betreffenden Überlegungen getrost schenken. Die Auftraggeber des Professors würden ihm jedenfalls garantiert nicht weiterhelfen. Zumal sie offenbar absolut keinerlei Zweifel am Wahrheitsgehalt der Prognose hegten – und nie gehegt hatten.
Sie hatten daran geglaubt. Sie waren offensichtlich exzellent vernetzt, und sie hatten nicht ohne Grund Aluminiumschnipsel und Ballons in den Himmel aufsteigen lassen, um gegebenenfalls die Folgen der sich ankündigenden Katastrophe abzumildern. Sie hatten sich aber offenbar auch irgendwann entschlossen, diese Bemühungen einzustellen und stillschweigend abzuwarten. Wie viel Gerrittsen über diese Beschlüsse wusste, war Beck nicht klar. Aber klar war, dass der regelmäßige IICO -Besucher Fritz Eisele etwasdarüber wissen musste. Und dessen Bedeutung in diesem Spiel hatte Beck offensichtlich unterschätzt.
Deshalb hielt er Philipps Idee für goldrichtig, herauszufinden, ob Eisele tatsächlich im Koma in irgendeinem Krankenhaus vor sich hin dämmerte oder, entgegen der offiziellen Verlautbarungen, zum Zeitpunkt des Anschlags überhaupt nicht im New York gewesen war. Beziehungsweise, wohin
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