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Prophezeiung

Prophezeiung

Titel: Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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willenlos der Kraft des Stroms überlassen. Kleine dunkelrote Sterne, deren fast durchsichtige Gallerthüllen man mehr ahnte als sah.
    Edward sah wieder auf.
    Sie mussten hineingreifen, die vermummten Freunde des Jungen, es nützte nichts. Sie mussten sich überwinden, den Schock und die Schmerzen in Kauf nehmen, die die Berührung der Quallen auslöste. Denn ihr untergegangener Freund musste längst Dutzende dieser nervenlähmenden Schläge erhalten haben und wäre nicht mehr in der Lage, sich von selbst zurück an die Oberfläche zu kämpfen.
    Endlich stieß der Vermummte an der Pinne seinen Kumpan wütend beiseite, brachte das Schlauchboot fast zum Kentern, als er sich weit über den Rand nach vorn hängte und beide Arme ins Wasser senkte. Endlich tauchte der Kopf des Anführers wieder auf, und nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit schafften die beiden Schlauchbootfahrer es, den Bewusstlosen an Bord zu ziehen.
    Edward sah beide in seine Richtung blicken. In ihre Richtung. Er verstand nicht, was sie brüllten, obwohl es laut genug war, um durch den Regen zu ihm herüberzudringen. Ihre Handbewegungen kannte er nur aus Rap-Videos, ihre Sprache war, soweit er das heraushören konnte, weder Deutsch noch Türkisch, sondern klang nach Balkan.
    Das Schlauchboot wendete, Gischt spritzte um die Abgasfahne des Außenborders hoch, und mit hohem Tempo schoss das Gefährt zurück flussaufwärts, Richtung Landungsbrücken, Richtung Stadt.
    »Siehste, deshalb fahr ich schon nicht mehr U-Bahn«, brummte Thomas Edward durch das offene Fenster zu. »Da haben wir uns aber mal sicher keine Freunde gemacht …«
    Er unterbrach sich, sein Blick wanderte an Edward vorbei, und auch der wandte den Kopf, als er das rasch näher kommende Geräusch hörte.
    Er hatte noch nie ein Wasserflugzeug aus solcher Nähe gesehen. Schon gar kein fliegendes.
    Keine zwanzig Meter rechts von ihnen, mitten auf dem Fluss, setzte die Maschine auf, schlug ein paar Gischtlöcher in einige der kleinen Wellenkämme und kam zum Stehen, direkt zwischen Thomas’ Boot und ihrem Ziel am Ufer.
    Ein athletischer Mann, bekleidet mit Anglerhose und Öljacke, stieß die Tür auf und ließ einen großen bunten Plastiksack ins Wasser neben den Schwimmern fallen, der sich schon im Moment des Aufpralls druckluftgetrieben zu einem Schlauchboot aufzufalten begann, und als Edward sah, wer dem Öljackenmann nach draußen folgte, sah er sich von zwei gleich starken Gefühlen überwältigt, die einander dummerweise diametral entgegengesetzt waren. Er war heilfroh, seine Tochter wiederzusehen, unversehrt. Und er war entsetzt, sie ausgerechnet hier zu sehen, zwischen der Eastern Star von rechts, albanisch-deutschen Plünderern links am Horizont und einem tödlichen Quallenteppich nur ein paar Zentimeter unter ihren Füßen.
    Als sie den Blick in seine Richtung wandte, sah er sie breit lächeln und mit einer Hand in seine Richtung winken. Er erwiderte den Gruß. Mit einem Winken, das, wie er inständig hoffte, nichts weiter signalisierte als grenzenlose väterliche Souveränität und Zuversicht.
    »Freunde von dir?«, fragte Thomas ungläubig.
    »Meine Tochter«, nickte Edward.
    »Ist doch schön, wenn man überall jemanden kennt.« Thomas brachte sogar ein Lächeln zustande, das er allerdings sofort wieder fallen ließ, mit Blick auf den Fluss, Richtung Stadt. »Lass uns trotzdem mal zusehen, dass wir Land gewinnen.«

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    52 Beck hatte Mühe, Oskar zu folgen. Obwohl der junge Programmierer nicht aussah wie ein gewohnheitsmäßiger Waldläufer, bewegte er sich erstaunlich geschickt über den durchweichten Waldboden und blieb, anders als Beck, nicht ständig an irgendwelchen Wurzeln hängen, die braun in braun als natürliche Stolperfallen aus dem Boden wuchsen. Zudem hatte Oskar in weiser Voraussicht am Morgen Arbeitsstiefel mit grobstolligen Sohlen angezogen, während Beck mangels Alternativen wie an jedem Tag seine bequemen, aber nicht wirklich standsicheren Lederschuhe spazieren trug. Nach fünf Minuten und sechs unverhofft auftauchenden tiefen Schlammpfützen hatte er klatschnasse Füße, nach zehn Minuten war er außer Atem und verfluchte sich für seine Faulheit in den vergangenen Jahren. Er war eindeutig zu wenig gelaufen und Rad gefahren, aber er hatte sich nie vorstellen können, dass diese Nachlässigkeit einmal sein Leben gefährden würde, jedenfalls nicht auf so dramatische Weise.
    Sie hatten einen oder anderthalb Kilometer zurückgelegt, als sie den Schuss

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