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Prophezeiung

Prophezeiung

Titel: Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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Stadt praktisch gelähmt war.
    Wie, fragte er sich, wollten seine Tochter und ihr Begleiter auf einem Flughafen landen, der von der Stromversorgung abgeschnitten war? Hatte Fuhlsbüttel seine eigene Notversorgung? Vermutlich. Für wie lange? Stunden? Tage? Und wie wollten Mavie und Philipp vom Flughafen nach Blankenese durchkommen? Die gesamte Abwasserentsorgung war rechnergesteuert, die Rechner waren garantiert längst ausgefallen und die meisten Straßen zwischen Alster und Elbe unpassierbare Hochwasserkloaken.
    Das Venedig des Nordens, dachte er. Ein Horrorvenedig. Denn es war eines, dessen Bewohner nicht daran gedacht hatten, sich neben zahllosen Brücken auch ebenso viele Gondeln anzuschaffen. Oder ausreichend andere Boote, um im Überschwemmungsfall mobil bleiben zu können.
    Aber allem Anschein nach blieben auch die, die Boote besaßen, lieber im Trockenen. Die Aussicht, Regenwasser aus einer Jolle oder einem Kajütkreuzer schöpfen zu müssen, erschien den Leuten offenbar noch weit weniger reizvoll, als den Stromausfall hinter verriegelten Wohnungstüren auszusitzen.
    Edward konnte sich ausmalen, wie die Nacht verlaufen würde. Ohne Strom, ohne Licht, dafür mit verstopften Abwasserrohren – und vermutlich in den meisten Haushalten ohne ausreichende Vorräte in den winzigen Vorratskammern.
    Er wandte den Blick von der Stadt ab und sah nach links, flussabwärts. Dort lagen die Pötte, weit weg. Heck an Bug, ein Dickschiff hinter dem anderen, ordentlich hintereinander aufgereiht, mit Containern auf den klatschnassen Decks, so weit das Auge reichte. Sie warteten wie Sattelschlepper an einem geschlossenen Grenzübergang – auf besseres Wetter, das ihnen erlaubte, die Kais anzufahren und ihre Fracht loszuwerden; auf besseres Wetter, das nicht kommen würde.
    Weiter flussabwärts fehlte gottlob die fette schwarze Rauchwolke, die die Innenstadt verdunkelte, dennoch bot sich ihnen kein erfreulicher Anblick. Denn aus den schwarzgrauen Wellen ragte wie ein ferner Felsen der weiß-orangene Rumpf der Eastern Star, ausgebrochen aus der Perlenkette der Dickschiffe und gefährlich nah am nördlichen Elbufer. Mit einem Blick durch sein Fernglas sah Edward, während Thomas das Boot unerschrocken weiter westwärts lenkte, dass die Piraten inzwischen mit dem Ausladen begonnen hatten – dem Ausladen ihrer Fracht, der etwa 4000 hungrigen und erschöpften Menschen, die die weite Reise gemeinsam unternommen hatten. Das erste Boot der Wasserschutzpolizei, das sie gleich nach dem Eintreffen in Hamburg gekapert hatten, war offenbar mehrfach im Einsatz gewesen, um weitere Boote zu kapern, und so standen inzwischen zwei Schlepper, mehrere Motorboote und eine gelb-schwarz gestreift für den König der Löwen werbende Ausflugsfähre am Ende der langen Strickleiter an der Backbordseite des Containerschiffs bereit, die Flüchtlinge aufzunehmen. Was sich indes als schwieriges Unterfangen entpuppte, wie Edward sah, denn es erforderte einigen Mut und einiges Geschick, sich in Wind und Regen über die zwanzig Meter lange schwankende Strickleiter von Bord der Eastern Star herunterzulassen zu den kleineren Booten, die auf den Wellen tanzten und in unregelmäßigen Abständen wie zu groß geratene Korken gegen den mächtigen Rumpf des Containerschiffs dotzten.
    Auf der gesamten Weiterfahrt, vorbei am überschwemmten Blankeneser Ufer, vorbei an den fast bis zum Dachfirst unter Wasser stehenden Restaurants und Kapitänshäuschen längs der Promenade unterhalb des Süllbergs, behielt Edward die Eastern Star im Doppelauge des Fernglases, um einschätzen zu können, ob von dort Gefahr ausging, ob die Besatzungen der gekaperten Schlepper sich die Mühe machen würden, auch ihren unattraktiven Kajütkreuzer aufzubringen.
    So gebannt schwenkte er seinen Feldstecher zwischen dem großen Schiff und ihrem Ziel am Ufer hin und her, einer großen weißen Siebzigerjahre-Villa hinter einer großen, jetzt überschwemmten und leicht ansteigenden Rasenfläche, dass er vollkommen überrascht war, als eine junge Stimme aus der entgegengesetzten Richtung, aus seinem der Stadt zugewandten Rücken, ihm durch Wind und Rücken zurief: »Ahoi, Skipper! Bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen!«
    Edward drehte sich um und ließ verdutzt das Fernglas sinken. Thomas lenkte den Kreuzer weiter vorsichtig und langsam parallel zum Ufer und wechselte einen skeptischen Blick mit seinem Freund.
    In dem Schlauchboot, das jetzt langsam längsseits zu ihnen fuhr, auf der

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