Prophezeiung
Steuerbordseite, befanden sich drei Männer. Einer hinten, am Außenborder, einer auf der Backbordseite, einer vorn – derjenige, der gerufen hatte und der sich gleich in mehrfacher Hinsicht von seinen Begleitern unterschied. Erstens war er nicht vermummt, zweitens trug er keine Windjacke, sondern lediglich Jeans und ein T-Shirt über reich tätowierten Armen, drittens stand er im Boot, während die anderen saßen, und viertens hielt er als Einziger ein Gewehr in den Händen. Lässig, den Lauf nach unten gerichtet.
Und er lächelte, kaugummikauend, hoch zu Edward. »Bitte um Erlaubnis, Skipper«, johlte er noch einmal.
»Erlaubnis verweigert«, sagte Edward freundlich. »Wir sind im Einsatz, Kamerad.«
»Abgelehnt«, rief der Junge zurück, weiterhin fröhlich grinsend. »Vergiss es, Skipper, ich mag dein Boot.«
Edward schwieg.
Die Boote glitten langsam nebeneinander her.
»Komm, Alter«, rief der Junge zu ihm hoch, »du willst nicht abkratzen wegen dem Kackboot. Sei’n braver Rentner, dann schieß ich dir nicht deine Pissrübe weg, wir setzen euch sogar im Flachen ab …«
Edward hörte es direkt zu seiner Linken leise knacken, als Thomas den Hahn des Revolvers mit dem Daumen zurückzog und den Lauf der Leuchtpistole durch das Fenster direkt auf den keine fünf Meter entfernten Kopf des Jungen richtete.
Er behielt die Linke am Steuer und fuhr seelenruhig weiter.
»Gegenvorschlag, Junge. Du nimmst deine Wumme jetzt gaaanz langsam am Lauf und wirfst sie hier rüber, Griff voraus. Und dabei machst du aber so was von keine falsche Bewegung.«
Die beiden Vermummten wechselten irritierte Blicke. Damit hatten sie offensichtlich nicht gerechnet, aber der Mann am Motor kam nicht auf die Idee, die Fahrt zu verlangsamen oder einfach abzudrehen. Die Boote lagen weiter auf gleicher Höhe, in langsamer Bewegung.
Edward wusste, was geschehen würde, bevor es geschah. Aber er hatte, auch nachdem es geschehen war, nicht die leiseste Ahnung, was er hätte tun sollen, um es zu verhindern.
Die Bewegung des Jungen mit den Tattoos war eindeutig. Und eindeutig falsch. Statt die nach unten zeigende Waffe mit der Linken am Lauf zu packen und kapitulierend nach vorn zu halten, zog er den Schaft der Waffe tiefer, um seine Hüfte herum, und drehte den Lauf rasch nach vorn, die Linke nicht auf, sondern unter dem Lauf.
Thomas blieben nur Sekundenbruchteile, die Bewegung zu werten und darauf zu reagieren. Er konnte sich entweder ducken und das Steuer nach Backbord herumwerfen – oder er konnte abdrücken.
Er entschied sich für Letzteres, aber er fand immerhin noch Zeit, den Lauf des Signalrevolvers zehn Zentimeter sinken zu lassen.
Die Leuchtpatrone löste sich mit lautem Fauchen aus dem Lauf, traf den Jungen am rechten Oberschenkel und blieb hängen, schillernd rot leuchtend und qualmend wie eine frisch aus der Hölle gespuckte Klette. Eine Kugel löste sich aus dem Gewehrlauf und durchschlug den Rumpf des Kreuzers unterhalb von Edwards Füßen, dann verlor der Schütze schreiend das Gleichgewicht, und der Versuch seines bisher in der Mitte des Schlauchbootes sitzenden Kumpans, ihn zu fassen zu bekommen, scheiterte.
Thomas beschleunigte den Kreuzer, und Edward duckte sich reflexartig hinter die Reling und schaute zurück zu dem Schlauchboot, das jetzt stehen blieb und rasch wendete, zurück zu der Stelle, wo der Schütze über Bord gegangen war.
Eine kleine Rauchsäule stand noch über dem Wasser, aber Wind und Regen beeilten sich, sie zu zerstreuen. Edward sahzurück. Und erwartete, dass die beiden anderen den Jungen an Bord des Schlauchbootes ziehen würden.
Und wartete. Während Thomas die Fahrt wieder etwas verlangsamte, nun, da er fast hundert Meter zwischen sich, das Ufer und das Schlauchboot gebracht hatte.
Edward schaute aus dem Fenster des Führerhauses, mit unglücklich gerunzelter Stirn. Der Junge war noch immer nicht wieder aufgetaucht, und die beiden Vermummten schienen sich anzuschreien. Sie stießen einander vor die Brust, gestikulierten und deuteten immer wieder auf die Wasseroberfläche, streckten die Arme ins Wasser und zogen sie gleich wieder heraus, als hätte sie der Schlag getroffen.
Schaudernd begriff Edward, was vor sich ging.
Er senkte den Blick auf die Wasseroberfläche vor der Bordwand des Kreuzers, sah genauer hin und fand seine Vermutung bestätigt.
Es waren viele. Sehr viele Quallen. Keine dreißig Zentimeter unter der aufgewühlten Oberfläche schaukelten sie in der Strömung, unschuldig,
Weitere Kostenlose Bücher