Prophezeiung
aufhob. Sofern es überhaupt ein Später gab.
Sie war selbst überrascht, wie gut sie geschlafen hatte. Neben ihm. Sie hätte nicht einmal sagen können, ob er selbst unruhig geschlafen hatte oder ob er nachts komische Geräusche von sich gab, sie hatte einfach nichts gehört. Sondern geschlafen wie inAbrahams Schoß, als wäre die Welt in Ordnung, ein Paradies aus Marzipan.
Als sie am Morgen erwachte, war er bereits geduscht und angezogen und hockte in einer Wolke Rasierwasser vor ihr auf dem Bett. Er sagte ihr mit sanftem Brummen, sie sehe bezaubernd aus, aber das wollte sie nicht hören. Sie wollte gar nichts hören, keinen Sweet Talk, keine Nettigkeiten. Die Nacht war vorüber, und eine Erinnerung daran konnte sie ebenso wenig brauchen wie eine Erinnerung an Omas Sonntagspfannkuchen.
Was sie brauchte, war ein Wunder.
Sie griff sofort nach ihrem Handy und schaute auf das Display, als könnte sie tatsächlich den nächtlichen Anruf ihrer letzten Hoffnung verpasst haben, aber natürlich hatte sie das nicht. Keine Anrufe, keine Nachrichten.
Sie wählte Becks Nummer.
Philipp blieb auf dem Bett sitzen und sah ihr interessiert zu. Sie bemerkte seinen Blick, der ihre Brüste streifte, und zog das Laken hoch, obwohl sie sich dabei vorkam wie Doris Day in einem Film aus der Steinzeit.
Becks Mailbox sprang sofort an. Mavie machte sich nicht die Mühe, ihm eine weitere Nachricht zu hinterlassen.
»Und jetzt?«, fragte Philipp.
»Jetzt?« Sie sah ihn an. »Jetzt versuchst du’s mal mit einem Schulterschluss unter echten Kerlen.«
»Aha«, sagte er fragend. »Der ginge wie?«
»Na, das war doch schon gestern Abend so. Ich bin das überspannte Mädchen, ihr zwei seid die tollen Typen, die alles blicken. Er reagiert nicht auf meine Reize. Zu hysterisch, zu blond, was weiß ich. Aber er respektiert dich.«
»Milett? Der respektiert sich selbst, sonst niemanden. Vielleicht Gott, aber auch nur, wenn der sich rechtzeitig einen Termin geben lässt.«
»Ihr beide seid die klugen Männer. Habt zusammen rausgekriegt, anders als die kleine Studentin, dass Eisele in dieser Geschichte viel tiefer drinsteckt. Und mit Eisele hat Milett eine Rechnung offen.«
Philipp nickte. »Offensichtlich. Aber …«
»Gut, uns fehlen ein paar Daten.«
Er lachte kurz. »Ein paar Daten? Uns fehlt so gut wie alles …«
»Wir haben die Daten von meinem Stick und Daniels Seite.«
»Das reicht ihm aber nicht.«
»Das hat ihm nicht gereicht, als er noch nicht wusste, dass er Eisele treffen kann.«
Philipp holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. »Nichts für ungut, Mavie. Milett ist eitel wie Jennifer Lopez, okay, aber nicht so bescheuert. Der Typ …«
»Siehst du, deshalb brauche ich dich. Schulterschluss. Unter Kerlen. Du gibst hier doch auch schon die ganze Zeit den Ritter, das kann der doch nicht einfach so stehen lassen.«
Wieder schüttelte er den Kopf, aber diesmal lächelte er. »Du hast echt ziemlich komische Vorstellungen von Männern.«
»Ja? Gehört das nicht zum Standardprogramm von Alphatieren, sich gegenseitig zu überbieten? Und wieso nicht mal einen Pissing Contest mit einem guten Ziel anzetteln?«
Er lachte. Und stand auf. »Du spinnst.«
Sie lächelte kurz und ließ ihre Wimpern flattern. »Sei stark. Mach ihm klar, dass nur er diese Jungfrau retten kann.«
Kopfschüttelnd und seufzend schlenderte er zur Tür. »Ich bin unten«, sagte er.
Die Tür fiel hinter ihm zu.
Mavie hörte auf zu lächeln. Sie wusste selbst, wie aussichtslos dieser Versuch war. Aber sie wusste erst recht, dass sie keine andere Chance mehr hatten.
Sie hatte auf ein Wunder gehofft. Irgendetwas in ihr hatte offenbar geglaubt, das Schicksal günstig stimmen zu können. Indem sie nicht aussprach, was offensichtlich war. Indem sie die alles vernichtenden Gedanken mit aller Macht aus ihrem Denken und Fühlen verbannt hatte.
Die hatten sie vernichtend geschlagen.
Thilo Beck war tot. Seine Daten waren verloren.
Wie zerschlagen erhob sie sich und rieb sich die Schläfen. Sie würde duschen und sich so schön und hilflos herrichten, wie sie konnte, um Miletts Eitelkeit und Mitleid gleichzeitig zu wecken.
Sie war gescheitert, auf ganzer Linie.
Und fühlte sich erbärmlich.
[Menü]
27 Beck stakste unsicher über den kopfsteingepflasterten Vorplatz zwischen der umgebauten Scheune, in der er in Paulinas Zimmer gelegen hatte, und dem Hauptgebäude des Gaia-Camps, einem großen ehemaligen Bauernhaus. Es regnete in Strömen, rund um den
Weitere Kostenlose Bücher