Prosecco um Mitternacht
du heute schon ab, Mom?”
“Nein, erst in einer Woche.”
“Gut, dann bleibt uns ja noch ein bisschen Zeit. Ich muss nämlich jetzt dringend los.”
Renae versprach Daisy, dass sie am nächsten Tag wieder anrufen würde, und beendete das Gespräch. Sie schaltete ihr Handy aus und widerstand dem Impuls, sich in einer Geste der Kapitulation im Treppenhaus auf den Rücken zu legen. Sie wusste nicht, ob es im Augenblick eine höhere Macht gab, die ihr Leben kontrollierte, doch wenn es so war, würde sie gern einen langen, detaillierten Beschwerdebrief schreiben.
Sie hörte, wie unten die Tür aufging, und setzte sich sofort ein wenig aufrechter hin. Sie hoffte inständig, dass es niemand aus dem zweiten Stock war, der sie hier im Treppenhaus vorfinden würde. Nachdem sie den Eisbecher mit dem Fuß zur Seite geschoben hatte, beugte sie sich über das Geländer und spähte nach unten. Vor Schreck gab sie einen erstickten Laut von sich, denn Will sah ihr direkt in die Augen.
Auch das noch. Vermutlich war das die Strafe für ihr Hadern mit der höheren Macht, die ihr Leben lenkte.
Rasch wich sie zurück und kniff die Augen zu. Na klasse. Das hatte ihr noch gefehlt, dass Will dachte, sie würde im Treppenhaus sitzen und auf ihn warten. Ihr Herz pochte, während sie auf seine Schritte lauschte. Aber da war nichts. Ein gutes Zeichen, oder? Denn es bedeutete doch, dass er gar nicht nach oben kam.
Etwas berührte ihren Arm. Sie kreischte erschrocken.
“Beruhige dich. Ich weiß ja, dass ich eine gewisse Wirkung auf Frauen habe, aber ich hätte nicht gedacht, dass sie so heftig ist.”
Renae starrte Wills attraktives Gesicht an, bei dessen Anblick sie nach wie vor weiche Knie bekam. “Hallo”, sagte sie. “Falls du dich wunderst, ich sitze hier nicht, weil ich auf dich warte.”
Wie aufs Stichwort krachte etwas gegen ihre Wohnungstür und ließ sie beide zusammenzucken. Der Streit hinter der Tür ging offenbar nicht nur unvermindert weiter, sondern nahm an Schärfe noch zu.
Will sah von der Tür wieder zu Renae. “Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du deinen Schlüssel vergessen hast.”
Sie hielt den Schlüssel hoch, und Will betrachtete eingehend das schlichte silberne Symbol ihres Sternzeichens Löwe.
Renae steckte den Schlüssel wieder in die Tasche und hob den Eisbecher hoch.
Was wollte Will? Er erwartete doch nicht ernsthaft, dass sie ihm glaubte, er habe sich Sorgen gemacht, dass sie sich aus ihrer Wohnung ausgesperrt hatte, oder? Schließlich hatte er ihr in den vergangenen fünf Tagen den Eindruck vermittelt, dass er glatt über sie hinweggestiegen und in seine Wohnung gegangen wäre, selbst wenn sie halb tot dagelegen und eine Herzmassage gebraucht hätte.
Sie betrachtete ihn erneut und registrierte, wie gut er in dem schlichten weißen Oxfordhemd und den braunen Halbschuhen aussah. Vom vielen Tennisspielen war er tief gebräunt, und seine stets leicht zerzausten Haare waren von der Sonne gebleicht. Und wenn er lächelte …
Sie schluckte hart, als er genau das tat. Ihr Verstand setzte aus, nur ihr Körper reagierte.
“Dein Eis schmilzt.”
Das war nicht das Einzige, was schmolz, aber sie hatte nicht vor, ihm das zu verraten. Schon gar nicht, während sie Erfrierungen an den Fingern bekam, weil sie den Eisbecher hielt.
“Möchtest du einen Löffel?”, fragte er.
Sie wollte viel mehr als nur einen Löffel von ihm. Sie wollte mit ihm in seine Wohnung, die Klimaanlage ausschalten, die Fenster aufreißen und herausfinden, wie erfindungsreich sie dabei waren, sich mit Eiscreme Kühlung zu verschaffen.
Ihr Gesicht musste ihm verraten haben, in welche Richtung ihre Gedanken gingen, denn er seufzte und wandte den Blick ab. “He, das soll kein Annäherungsversuch sein. Glaub mir, nichts liegt mir momentan ferner.” Er fuhr sich durch die Haare. “Ich dachte nur, vielleicht möchtest du solange bei mir warten, bis du wieder in deine Wohnung kannst. Du bist jedenfalls herzlich willkommen.”
Renae musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. “Warten. In deiner Wohnung. Sonst nichts?”
Er nickte. “Es sei denn, du willst reden oder sonst was tun, während du wartest.”
“Reden”, wiederholte sie gedehnt.
“Ach ja, eine blöde Idee.”
Erneut flog etwas gegen die Tür. Renae starrte sie an. “Das wird eine Kerbe hinterlassen.” Sie sah wieder zu Will. “Ich glaube, ich nehme dein Angebot an.”
Fünfzehn Minuten später war Will so weit, sich in die nächste Irrenanstalt einweisen
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