Prosecco um Mitternacht
finde ich es gar nicht so altmodisch, bis zur Hochzeitsnacht zu warten.” Er versuchte zu lächeln, fürchtete jedoch, das Gesicht nur zu einer Grimasse zu verziehen. “Gerade erst habe ich Colin erzählt, dass es deine beeindruckende Selbstbeherrschung und dein Traditionsbewusstsein waren, die ich so anziehend fand.”
Noch während er redete, wich er weiter zurück und hielt sie gleichzeitig auf Abstand.
“Und das finde ich nach wie vor so anziehend an dir …”
Nur noch zwei Schritte, aber die würde er nur schaffen, wenn er sie vorher losließ.
“Ja, ich finde, ich sollte gehen, bevor wir etwas tun, das wir beide möglicherweise bereuen.”
“Will!”
Er wollte sie loslassen, stattdessen hielt er sie fest. “Was?”
“Du hast mich noch immer nicht geküsst.”
“Ach ja. Natürlich.”
Schon halb draußen, beugte er sich noch einmal vor, zögerte jedoch beim Anblick des hingebungsvollen Ausdrucks auf ihrem Gesicht, und gab ihr den kürzesten Kuss in der Geschichte der Menschheit.
“Tja dann … Gute Nacht!”
Und damit rannte er wie der Blitz die Treppe hinunter und aus dem Gebäude.
13. KAPITEL
R enae saß vor ihrer Wohnungstür und lauschte einer der berüchtigten Auseinandersetzungen zwischen Nina und Tabitha. Eigentlich war es eher ein fanatisches Toben. Hauptsächlich versuchte Tabitha Nina zu beruhigen, während ihre aufgebrachte Geliebte stundenlang tobte, zumindest kam es Renae so vor.
Sie sah sehnsüchtig auf den großen Eisbecher, den sie sich gekauft hatte.
Als sie bei Tabitha eingezogen war, hatten sie sich darauf geeinigt, dass sich der jeweils andere aus der Wohnung zurückziehen würde, falls einer von ihnen Streit mit einem Partner haben sollte.
In diesem Fall bedeutete es, dass Renae auf den Treppenhausstufen mit einem Becher schmelzendem Eis saß und nicht hineingehen mochte, um sich einen Löffel zu holen. Irgendwie schien ihr diese ganze Situation sehr bezeichnend für den derzeitigen Zustand ihres Lebens.
Sie stützte die Ellbogen auf die Knie und den Kopf auf die Hände. Plötzlich vibrierte ihr Handy. Seufzend zog sie es hervor und schaute auf das beleuchtete Display. Ihre Mutter. Na fabelhaft. Genau das, was sie jetzt brauchte.
“Hallo, Mom.”
“Du meine Güte, ich hasse diese Rufnummernanzeige”, sagte Daisy Truesdale mit einem dramatischen Seufzer. “Man kann niemanden mehr überraschen.”
“Du überraschst mich sowieso nie.” Weil es das Lebensziel ihrer Mutter war, ständig für Überraschungen zu sorgen, rechnete Renae damit. “Was ist los?”
“Warum muss irgendetwas los sein, wenn ich meine Tochter anrufe, mein einziges Kind?”
Falls es so etwas wie Gerechtigkeit auf dieser Welt gab, dann hatte sie sich darin gezeigt, dass Daisy nur ein Kind bekommen hatte, das sie vermurksen konnte. “Weil immer etwas los ist.”
Renae merkte selbst, dass sie zynischer war als sonst. Wahrscheinlich hatte es damit zu tun, dass sie aus ihrer eigenen Wohnung ausgeschlossen war und im Treppenhaus sitzend mit ansehen musste, wie ihr Lieblingseis schmolz.
“Na schön, in diesem Fall hast du recht.”
Renae schloss die Augen und wappnete sich innerlich.
“Ich ziehe nach Las Vegas, um Showgirl zu werden.”
Renae verzog das Gesicht. Ihre Mom, ein dreiundvierzigjähriges Showgirl in Las Vegas? Zumindest passte es ins Leben von Daisy Truesdale, die als minderjährige Stripperin mit siebzehn von einem Kunden schwanger geworden war, der schwor, sich immer um sie zu kümmern, jedoch Reißaus genommen hatte, als er von ihrer Schwangerschaft erfuhr. Renae war in den Hinterzimmern von Stripclubs aufgewachsen, umgeben von winzigen Büstenhaltern, G-Strings und Silikonbrüsten. Sobald sie alt genug gewesen war, war sie in die Fußstapfen ihrer Mutter getreten und hatte nie ein anderes Leben kennengelernt.
Bis sie Ginger traf.
“Und?”, meinte ihre Mutter nach einem langen Moment des Schweigens. “Wirst du nichts dazu sagen?”
“Was gibt es da zu sagen?”
“Ich weiß nicht. Viel Glück?”
“Viel Glück.”
“Na, das klang vielleicht aufrichtig.”
Renae ließ die Schultern hängen. Sie hatte nicht grob ihrer Mutter gegenüber sein wollen. Nur lief in ihrem eigenen Leben momentan so vieles schief, dass sie für Daisys jüngste Eskapade nicht viel Begeisterung aufbringen konnte. Nach Daisys Engagements als Tänzerin auf Kreuzfahrtschiffen und einem Versuch am New Yorker Broadway konnten diese Neuigkeiten sie einfach nicht richtig begeistern.
“Reist
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