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Proust 1913

Proust 1913

Titel: Proust 1913 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luzius Keller
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einem Schuber mit zwei Bänden zustimmt) einen Einwand gegen
Charles Swann?
Mache ich aber einen einzigen Band mit 500  Seiten, bin ich nicht für diesen Titel, denn dann fehlte das letzte Porträt Swanns, und so würde mein Buch nicht halten, was der Titel verspricht.« Und nun folgt eine jener etwas angeberischen Passagen, bei denen man nicht weiß, ob Proust sich nicht über sich selbst oder auch seine Freunde lustig macht, hier über einen Freund, der von ihm poetische Titel verlangt: »Gefällt Ihnen
Avant que le jour se lève
[
Bevor der Tag aufgeht
]? Mir nicht. Verzichten musste ich auf (den ursprünglichen Titel)
Les Intermittences du cœur
[
Arrhythmien des Herzens
oder
Das intermittierende Herz
], auf
Les Colombes poignardées
[
Die Dolchstichtauben
],
Le Passé intermittent
[
Die intermittierende Vergangenheit
], auf
L’Adoration perpétuelle
[
Die Ewige Anbetung
], auf
Le Septième Ciel
[
Der siebte Himmel
], auf
À l’ombre des jeunes filles en fleurs
[
Im Schatten junger Mädchenblüte
], lauter Titel von Kapiteln des dritten Bandes./Ich habe Ihnen doch schon gesagt, nicht wahr,
Du côté de chez Swann
stände wegen der beiden Gegenden, die es in Combray gab.« ( XII , 231 ) Die Proust-Kritik nimmt solche Aufzählungen meist für bare Münze. Vorsicht ist jedoch geboten! Bei dem letzten Plädoyer für den inkriminierten Titel muss wohl auch Louis de Robert klar geworden sein, dass Proust schon immer wusste, er würde »Du côté de chez Swann« nicht aufgeben: »Lieber Freund, ich habe daran gedacht, meinen ersten Band
Le Printemps
[
Der Frühling
] zu nennen. Doch ich verstehe immer noch nicht, weshalb der Name jenes kleinen Wegs, den man ›die Gegend von Swann‹ nannte, mit seiner erdhaften Wirklichkeit, seiner lokalen Wahrheit nicht ebenso viel Poesie enthält wie irgendwelche abstrakten und blumigen Titel. Wenn Sie meinen ersten Teil gelesen haben, konnten Sie sehen, dass es um Combray herum zwei Gegenden gab, die Gegend von Méséglise-La-Vineuse und die Gegend von Guermantes, und dass man die erste die Gegend von Swann nannte. Und diese beiden Gegenden erhalten eine Bedeutung für mein inneres Leben. Weil nun außerdem der ganze Band in der Gegend von Swann spielt, fand ich diesen Titel bescheiden, wirklichkeitsnah, grau, farblos – wie ein Acker, woraus sich die Poesie erheben konnte. Wenn Sie aber glauben, er hindere – gleich einem Band von 700  Seiten – die Leute daran, das Buch zu kaufen, dann werde ich ihn natürlich abändern, denn ich möchte gelesen werden. Sonst aber …« ( XII , 238 – 239 ) Dass die prosaische Erdhaftigkeit von »Du côté de chez Swann« einen schönen Kontrast bildet zu der »philosophischen Poesie« von »À la recherche du temps perdu«, hat Proust Louis de Robert verschwiegen und – vielleicht aus Rücksicht auf spätere Interpreten – auch sonst niemandem verraten.
    Anfang November kommt Proust im Vorausblick auf die Fortsetzung von
Du côté de chez Swann
auf die Titelfrage zurück. Er schreibt an René Blum: »Ich habe einen allgemeinen Titel genommen:
À la recherche du temps perdu.
Der erste Band […] heißt:
Du côté de chez Swann.
Der zweite und der dritte sind auf dem Buchrücken angekündigt, der zweite als
Le Côté de Guermantes,
der dritte als
le Temps Retrouvé,
doch wird der zweite vielleicht
À l’ombre des jeunes filles en fleurs
heißen oder vielleicht
Les Intermittences du Cœur
oder vielleicht
L’Adoration perpétuelle
oder vielleicht
Les Colombes poignardées,
doch wozu soll ich das alles sagen.« ( XII , 295 )
    Proust liest
    Es ist immer wieder erstaunlich festzustellen, wie jemand, der dauernd angibt, er habe seit Tagen, ja Wochen überhaupt nicht arbeiten können, und seine Briefe mit der Entschuldigung abbricht, er habe keine Kraft fortzufahren, ebenso andauernd an seinem Werk weiterschreibt und auch Zeit findet, Werke anderer zu lesen. Proust liest viel: Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, besonders Neuerscheinungen. Und nicht selten äußert er sich in seinen Briefen zu dem Gelesenen, oft auch gegenüber dem Autor. Dazu drei Beispiele aus den Monaten Mai und Juni:
    Kurz nach dem 23 . Mai schreibt er Maurice Duplay einen ausführlichen Brief über dessen eben erschienenen Roman
L’Inexorable.
Hymnisches Lob, Gemeinsamkeiten zwischen Duplay und Proust, Überlegenheit Duplays, Erinnerung an Duplays 1905 erschienenen Erstling
La Trempe,
dann aber auch ganz präzise Kritik: »Der ganze Anfang (außer der ersten

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