Proust 1913
Zeile, wo mir die nicht wieder zum Leben erweckten beruflichen Details nicht gefallen, das über die Firma usw.) ist meisterhaft.« ( XII , 182 )
Zwei Wochen später, kurz nach dem 6 . Juni, reagiert er auf Mme de Pierrebourgs historischen Roman
Un double amour: Louise de la Vallière
– eine Gelegenheit über die Gattung des historischen Romans nachzudenken und sich dabei auch als Kunstkenner auszuweisen: »Ein wahrer Romancier verlangt vom Roman so viel Wahrheit, dass es für ihn bedeutet, die Geschichte dem Wahrheitsbeweis zu unterziehen, wenn er sie zur Würde des Romans erhebt. Ich erinnere mich, dass mich Chardin gelehrt hat, dass in den bescheidensten Dingen, einem Tischtuch, einem Messer, einem toten Fisch, Schönheit liegen kann, und dass mich dann später Veronese lehrte, dass auch in den schönen Dingen Schönheit möglich ist und dass Gold, Seide, Edelsteine schön sein können wie das Messer und das Tischtuch.« ( XII , 195 ) Vielleicht hat Proust die Passage über die »Lektion eines Chardin« und die »Lektion eines Veronese« (
Die Flüchtige,
313 ) schon geschrieben und überträgt sie jetzt in seinen Brief an Mme de Pierrebourg.
Noch einmal zwei Wochen später ist Mme de Noailles an der Reihe, deren Gedichtband
Les Vivants et les morts
am 13 . Juni erschienen ist. In seiner am 13 . Juni 1907 im
Supplément littéraire
von
Le Figaro
erschienenen Rezension von
Les Éblouissements
stellte Proust die Dichterin neben Victor Hugo. Jetzt schreibt er ihr, der neue Band lasse
Les Éblouissements
weit hinter sich. Was er besonders bewundert ist, dass die einzelnen Stücke des Bandes nicht romanartig oder dramatisch miteinander verbunden sind, sondern durch eine gemeinsame Stimmung: »Die immer gleiche Stimmung, in der man sich befindet, wenn man komponiert, stiftet auch Einheit.« ( XII , 214 ) Doch neben wen soll er sie jetzt stellen? Da kommt nur Wagner infrage: »Dieser Band ist für mich halb
Tristan,
halb
Parsifal.
Es ist wunderbar, dass jenes Phänomen der Vermehrung von Klangzellen, bewirkt durch Infusion, durch untergründige Inokulation eines unermesslichen Gedankenreichtums, sich in der Sprache vollziehen konnte wie in der Musik. Dieses gleiche Wunder geistiger Biologie ist sehr bewegend.« ( XII , 214 )
Juni
Druckfahnen und Korrekturabzüge
Mitte Juni erhält Proust die letzte der 95 Fahnen des ersten Laufs, datiert vom 11 . Juni 1913 . Noch im Mai hatte er die ersten 45 korrigierten Fahnen dem Verleger zurückgeschickt, und Ende Mai oder Anfang Juni erhält er die erste, Mitte Juli die letzte Lieferung des zweiten Laufs. Ein dritter Lauf trägt die Stempel vom 9 . August bis zum 1 . September; ein vierter vom 2 . bis zum 17 . Oktober; ein fünfter vom 27 . Oktober. Außer jenem in der Bibliotheca Bodmeriana aufbewahrten Exemplar der Druckfahnen befinden sich alle diese Dokumente in der Pariser Nationalbibliothek. Sie sind zum Teil nur lückenhaft erhalten. Es ist aber anzunehmen, dass die Korrekturabzüge schon bei der Herstellung nicht immer den gesamten Text umfassten. Jedenfalls sieht sich Proust von Anfang Juni an plötzlich – abgesehen von seinen Entwurfheften und seiner »Zettelwirtschaft« – mit zwei zu korrigierenden Stapeln konfrontiert, einem Stapel mit Druckfahnen und einem Stapel mit Korrekturabzügen. Darauf nimmt er wohl Bezug, wenn er Mitte Juni in einem weiter oben schon zitierten Brief an Colette d’Alton schreibt, er »habe 750 Seiten Fahnen zu korrigieren oder eher von vorn zu beginnen« ( XII , 201 ). Die ganze Prozedur wird noch dadurch kompliziert, dass Proust Louis de Robert ein Exemplar des 2 . Laufs zukommen lässt und diesen um Vorschläge bittet, wie der Text gekürzt werden könnte. Obwohl er ihm versichert, er sei »die einzige Person, die vor der Publikation vollständige Kenntnis [des] Buches haben werde« ( XII , 211 ), gibt er es Ende August auch Lucien Daudet zu lesen. So ergibt sich ein vielstimmiger Dialog, wobei Proust bald die Einwände seiner Gesprächspartner berücksichtigt, bald aber auch an seinen Lösungen festhält. »Vielleicht haben Sie die Güte«, schreibt er Mitte Juni an Louis de Robert, »mir die Längen anzugeben, die ich streichen (oder, wenn man das überhaupt kann, als Fußnoten setzen) sollte, indem Sie die Stellen mit blauem, rotem oder schwarzem Stift markieren. Vielleicht aber werde ich Ihnen nicht gehorchen, denn gehorchen kann ich schließlich nur mir selbst […].« ( XII , 211 ) So ist es denn auch
Weitere Kostenlose Bücher