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Psalms of Isaak 01. Sündenfall

Psalms of Isaak 01. Sündenfall

Titel: Psalms of Isaak 01. Sündenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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sah die Härte in seinen Augen. Er kam so nahe, dass sein buschiger, weißer Bart Nebs Kinn streifte. »Ich habe Ersteres getan, aber Letzteres nicht«, sagte der alte Gardist. »Aber ich wage zu behaupten, dass das Töten schwieriger ist als das Sterben.«
    In dieser Nacht hatte Neb wach gelegen und über den alten Soldaten nachgedacht. Er hatte sich gefragt, wie viele Menschen der Hauptmann getötet hatte und ob Neb es tun könnte, wenn es jemals sein musste. Ohne Antwort war er eingeschlafen und hatte sich fortan keine Gedanken mehr darüber gemacht – bis jetzt, zwei Jahre danach.
    Es gab einige praktische Dinge zu berücksichtigen. Bisher hatte er nur über die Magie nachgedacht. Wenn er unter dem Einfluss der Magifizienten stand, konnte er ein Messer oder vielleicht sogar ein Schwert stehlen. Danach wäre es ein Leichtes, an Sethberts Ehrengarde vorbeizukommen.
    Aber dann gab es auch noch tiefer gehende Fragen zu erörtern. Es war nicht schwer, sich auszurechnen, dass seine Überlebenschancen eher gering waren. Er hatte gesagt, dass er bereit wäre, für die Wahrheit zu sterben, für das Wissen. Aber es war ihm niemals in den Sinn gekommen, dass er für die Gerechtigkeit sterben könnte. Bis vor ein paar Tagen hatte er nicht einmal für sich persönlich irgendeine wirkliche Ungerechtigkeit geltend machen können. Gewiss, er hatte viele stille Augenblicke damit verbracht, sich zu fragen, wie sein Leben ausgesehen hätte, hätte er eine Mutter und einen Vater gehabt; oder zumindest einen Vater, den er nicht als Bruder Hebda anredete. Aber das war schwerlich eine Ungerechtigkeit. Man kümmerte sich gut um ihn, bildete ihn aus, kleidete ihn, und er wurde von den Besten aus dem Orden der Androfranziner unterrichtet – ein Leben, das nur die Waisen des P’Andro Whym kannten. Die Söhne und Töchter der Adligen besuchten in den meisten Fällen die Universität, manchmal sogar die Akademie, aber sie kamen nie weiter als bis zur ersten Ecke der Großen Bibliothek. Neb und seine Freunde waren sogar schon an den Zellen der Mechoservitoren vorbeigegangen, hatten sie im dritten Kellergeschoss summen und klicken hören.
    Der Mord an seinem Vater, an Windwir – und, wie er erkannte, der Mord am Orden der Androfranziner – war eine so gewaltige Ungerechtigkeit, dass sein Herz sie nicht fassen konnte. Sie brachte seinen Verstand ins Wanken.
    Neb wusste nicht, ob er töten würde, um das Licht lebendig zu halten, wie der Gardist es formuliert hatte. Da die Stadt in Ruinen lag und die Bibliothek nur noch aus verkohltem Stein und Asche bestand, bezweifelte er, dass noch viel Licht existierte, das man schützen konnte.
    Neb fragte sich, was der alte Gardist wohl dazu gesagt hätte, wenn man tötete, um Rache für die Auslöschung des Lichts zu üben.
    Petronus
    Petronus brachte sein Pferd an den Rand der Stadt. Er hatte sich eingeredet, dass er umkehren würde, dass er es nur einmal aus der Nähe sehen musste. Etwas, das er nicht benennen konnte, zwang ihn dazu. Zorn und Verzweiflung verdrillten sich in ihm und zerrten an ihm, jagten sich gegenseitig um einen leeren Raum in seinem Innersten.
    Er führte sein Pferd am Zügel, damit er das Knirschen der Asche und Kohle unter seinen Füßen spüren konnte und wusste, dass es echt war. Alle paar Schritte hielt er an, um seine Lunge mit dem Geruch von Schwefel, Ozon und Rauch zu füllen. Und sein Blick schweifte über die zerschmetterte Landschaft und suchte etwas, von dem er nicht wusste, was es war.
    Zweifelsohne kannte Petronus den Fünffachen Pfad der Trauer. Er hatte seinen langen Weg zum Papsttum in der Kanzlei der Franzinischen Methodik begonnen, wo er die Bahnen des Denkens und Verhaltens analysiert und manipuliert hatte. Meistens pendelte er zwischen Schwert und Leerer Börse – aber von Zeit zu Zeit fand er sich auch am Anfang des Geblendeten Auges wieder.
    Es war nicht, als hätte er nicht schon Tod und Zerstörung gesehen. Ein paar Tage, ehe er den Anschlag auf sich selbst geplant hatte, hatte Petronus den Befehl für einen Überfall auf ein Dorf der Sümpfler gegeben, um Vergeltung für einen Angriff auf eine der freien Städte weiter oben am Fluss zu üben. Die Sümpfler hatten die Hälfte der Männer und ein Viertel der Kinder getötet. Sie hatten auch eine kleine, bewachte Karawane vernichtet, die aus den Mahlenden Ödlanden zurückgekehrt war – beladen mit Relikten und Pergamentrollen, die man aus Gründen der Sicherheit oder Erhaltung für heikel genug erachtet

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