Psychopath
ihrem Halfter zurecht. Dann stieg sie aus dem Auto aus. Dabei beobachtete sie North Anderson, wie er fünf Stellplätze weiter parkte, sie ansah und dann eilig den Blick abwendete. Das bestätigte, was sie bereits auf dem Highway vermutet hatte: Sie wurde beschattet.
Nur Clevenger wusste, dass sie in Wyoming war. Sie hatte seinen Partner nie kennen gelernt, wusste aber, dass es ein Schwarzer war. Sie warf einen verstohlenen Blick auf sein Nummernschild – ein Mietwagen.
Sie ging zu ihm hinüber und klopfte ans Fahrerfenster.
Er ließ es herunter. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, fragte er so ungezwungen wie möglich.
»Sie müssen North Anderson sein«, sagte sie.
Anderson sah keinen Sinn darin, es abzustreiten.
»Sagen Sie Frank, dass ich ein großes Mädchen bin. Er muss nicht auf mich aufpassen.«
»Ich schätze, er hat gedacht, dass Sie vielleicht richtig liegen, wenn Sie den Mörder noch immer hier in der Gegend vermuten. Wenn dem so ist, kommt Ihnen die Rückendeckung vielleicht gar nicht so ungelegen.«
Sie überlegte kurz, Anderson von Jonah Wrens zu erzählen, hatte aber keine Lust, sich vor ihm oder Clevenger zum Narren zu machen. Sie wollte, dass man sie ungestört ihren Job tun ließ. »Ich meine, wenn er möchte, kann ich ihn anrufen und ihm in allen Einzelheiten berichten, was in dem Motelzimmer passiert«, sagte sie lächelnd. »Aber ich bin nicht beruflich hier. Also, warum verziehen Sie sich nicht? Irgendwie macht es die Stimmung kaputt, wenn ich immer daran denken muss, dass Sie hier draußen hocken.«
McCormicks Offenheit verschlug Anderson die Sprache, und er nickte nur.
Sie ging zu Zimmer 105 und klopfte an die Tür.
Einen Moment später öffnete Wrens. Er war barfuß, sein Haar war zerzaust, seine Schultern gebeugt. Sein Hemd war aufgeknöpft und entblößte seinen Waschbrettbauch. Seine Ärmel hatte er hochgekrempelt. Er hielt seine Socken und seinen Gürtel in der Hand. Er sah völlig erledigt aus und wirkte nicht im geringsten gefährlich. »Ich muss schlafen«, erklärte er. »Das hier kann doch sicher bis morgen früh warten.«
»Ich verstehe Sie«, sagte McCormick. »Es dauert nur ein paar Minuten. Das verspreche ich.«
Er schien zu zaudern.
»Es ist wichtig.«
Wrens schloss seine Augen und atmete tief durch, als vor seinem geistigen Auge ein Bild Gestalt annahm – sein Messer an McCormicks Hals, ihr Haar in seiner Faust. Er öffnete seine Augen und betrachtete sie. Den Teufel vor seiner Tür. »Ichmöchte mich dafür entschuldigen, dass ich im Krankenhaus schroff zu Ihnen gewesen bin. Bitte, kommen Sie herein.«
Jetzt war es McCormick, die zögerte. Denn sie hatte etwas entdeckt, das in ihr ein flaues Gefühl weckte – eine Reihe von fünf oder sechs verblassten horizontalen Narben an Wrens rechtem Unterarm.
Sie wusste, dass es durchaus eine harmlose Erklärung für diese Narben geben könnte. Sie konnten von den Metallspitzen eines Zauns stammen, an denen Jonah als Junge hängen geblieben war. Von den Krallen einer wütenden Katze. Einem heißen Grill. Und selbst wenn Wrens sich als Kind oder Jugendlicher willentlich Schnitte zugefügt hätte, wäre er sicher nicht der erste Psychiater, der selbst ein psychologisches Trauma erlebt hatte.
Nichtsdestotrotz, wenn die Narben von Schnitten stammten, musste Wrens ein schweres emotionales Trauma durchlitten haben. Und der einzige Weg, ein Gefühl von Kontrolle über seinen Schmerz zurückzugewinnen, war, sich selbst zu verletzen. Anschließend hatte er dann ruhig zuschauen können, wie er blutete, völlig losgelöst von seinem eigenen Leiden – und seinem verdrängten Zorn auf andere.
War das nicht genau das Persönlichkeitsprofil des Highwaykillers?
»Dr. McCormick«, sagte Wrens, »Sie scheinen ebenfalls müde zu sein. Warum treffen wir uns nicht morgen? Vielleicht irgendwo zum Frühstück?«
»Nein«, sagte sie. Sie spannte ihre Wade an, um die Pistole zu fühlen, die dort festgeschnallt war. »Mir geht es gut.« Sie trat ein.
Wrens schloss die Tür, als sie an ihm vorbeiging. Und als sie ihm den Rücken zukehrte, vergeudete er keine Sekunde, legte ihr seinen Gürtel wie eine Schlinge um den Hals und warf sie zu Boden.
Sie griff nach ihrer Pistole, doch Wrens trat ihre Hand vom Bein weg, dann zog er den Gürtel fester, schnürte ihr die Kehle zu, ließ ihre Hände instinktiv zum Lederriemen an ihrem Hals schnellen. Wrens setzte sich rittlings auf ihr Kreuz. Sie fühlte seine Hand an ihrem Knöchel, fühlte,
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