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Psychopath

Psychopath

Titel: Psychopath Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Ablow
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Ihr erster Impuls könnte sein, nicht an so etwas zu denken.«
    Plotnik sah Jonah durchdringend an.
    »Ich denke, das geht jetzt ein wenig weit«, mischte sich Craig Ellison ein. »Wie Sie schon sagten, keiner von uns hätte eine Magnetresonanztomographie veranlasst bei einem Fall wie ...«
    »Nein, Craig«, fiel ihm Plotnik ins Wort. »Ich denke, er hat Recht.« Er wandte sich an Jonah. »Benjamins Erkrankung zu diagnostizieren hätte mich gezwungen, meine eigene Erkrankung zu konfrontieren – wieder an meinen Schlaganfall zu denken. Das war etwas, wozu ich nicht bereit war.«
    »Also haben Sie den Fall hier vorgestellt«, sagte Jonah. »Sie wussten, dass da etwas mit Benjamin war, das Sie möglicherweise übersahen.«
    Plotnik nickte. »Ein klinischer blinder Fleck.«
    »Und Sie haben ihn überwunden, indem Sie Benjamin anderen Augen vorgestellt haben. Unseren. Sie haben dafür gesorgt, dass er die Hilfe bekommt, die er braucht.«
    »Wenn ich das getan habe«, erwiderte Plotnik, »dann nur dank Ihnen.«
    Jonah zwinkerte ihm zu. »Immer vorausgesetzt, das Magnetresonanztomogramm erweist sich nicht als völlig normal«, sagte er.
     
    Jonah hatte vor, den Rest des Tages und des Abends in der geschlossenen Abteilung zuzubringen und die Krankenblätter der sechs Patienten durchzugehen, die von Dr. Jenkins und Dr. Plotnik in seine Obhut übergeben worden waren. Craig Ellison hatte Jonah angeboten, es langsam angehen zu lassen und erst einmal nur ein paar Patienten zu übernehmen, doch Jonah hatte die Gelegenheit beim Schopf gepackt, sich in einem halben Dutzend junger Leben zu versenken.
    Er saß in seinem provisorischen Büro auf Station Seven West und brütete über Krankenblättern, die man nur als Chroniken des Seelenmords bezeichnen konnte. Naomi McMorris, sechs Jahre alt, im Alter von drei vergewaltigt vom Lebensgefährten ihrer Mutter; Tommy Magellan, elf Jahre alt, bereits kokainsüchtig geboren und jetzt abhängig von Kokain und Heroin; Mike Pansky, fünfzehn Jahre alt, hörte Stimmen, die ihm befahlen, sich umzubringen, volle zehn Jahre, nachdem seine psychotische Mutter versucht hatte, ihn zu töten.
    Jonah fühlte, wie mit jeder Seite, die er las, die Distanz zwischen ihm und der Route 90 East und der gefrorenen Leiche von Anna Beckwith wuchs. Er hatte eine weitere Chance, Buße zu tun, eine weitere Chance, ein Heiler zu sein, und er war so trunken von dem Strom der Psychopathologie vor seinen Augen, dass er überzeugt war, er könne dieses Versprechen geben – und halten. Er würde keine Untat mehr begehen. Wie ein Süchtiger mit der Nadel im Arm konnte er nicht über seinen Rausch hinaussehen. Er konnte nicht sehen, dass seine eigenen Dämonen niemals ausgetrieben würden, solange er sich mit den Dämonen anderer Leute betäubte.
    Er lehnte sich zurück, schloss die Augen und stellte sichvor, Teile eines Tages oder einer Nacht als Naomi McMorris oder Tommy Magellan oder Mike Pansky zu durchleben. Er fühlte das unaufhörliche Tauziehen zwischen den Instinkten, zu lieben und zu hassen, zu vertrauen und zu fürchten, zu hoffen und zu verzweifeln, das sie Stunde um Stunde austrugen. Er begriff – nicht nur verstandesmäßig, sondern mit seinem Herzen –, warum ein Ego, das sich beständig strecken musste, um solche Extreme zu überbrücken, zwangsläufig zusammenbrechen würde und einen Jungen wie Mike im freien Fall aus der Realität abstürzen ließ, während seine innersten Überzeugungen von seiner eigenen Wertlosigkeit wie ein Bumerang an ihn zurückschnellten, als körperlose Stimmen, die verlangten, dass er sich umbrachte. Jonah stellte sich vor, so wie Naomi vielleicht aus tiefem Schlaf zu erwachen, nicht nur verlegen darüber, dass sie ins Bett genässt hatte, sondern völlig zerstört davon, kreischend, untröstlich in ihrer Scham und in ihrem Entsetzen, die Kontrolle über ihre Blase verloren zu haben, Folge einer Vergewaltigung, die sie jeglicher Kontrolle beraubt hatte. Er erschauerte in der unauslöschlichen Verzweiflung, die Tommy als Neugeborener empfunden haben musste, nachdem man ihn nicht nur aus dem Frieden des Mutterleibs herausgezerrt, sondern auch der ununterbrochenen Kokaininfusion beraubt hatte, denn jede Zelle seines Körpers verzehrte sich bereits nach einer Droge, die er auf immer und ewig unterbewusst mit Geborgenheit und Schutz gleichsetzen würde.
    Während Jonah diese Kinder in sich aufnahm, fühlte er, wie der tobende Sturm in seiner eigenen Seele abflaute, wie sich seine

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