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Psychopath

Psychopath

Titel: Psychopath Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Ablow
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Unterbewusstsein gekommen. Er empfand etwas für Jenkins. »Sie sind eine gute Psychiaterin«, sagte er.
    »Manchmal glaube ich das selbst«, erwiderte sie. »Und dann sehe ich jemanden etwas tun wie das, was Sie heute bei der Fallbesprechung mit Benjamin getan haben. Und dann wird mir klar, wie viel ich noch zu lernen habe.«
    »Das war Anfängerglück«, wiegelte Jonah ab.
    »Klar doch.« Jenkins stand auf und nagte kurz an ihrer Unterlippe. »Also, zur Sache. Wenn Sie für das Wochenende noch nichts vorhaben, könnte ich mit Ihnen die große Stadtführung durch Canaan machen.«
    Jonah schwieg.
    »Wir brauchen nicht länger als einen Abend«, sagte Jenkins. »Es gibt in dieser Stadt genau ein anständiges Restaurant und ein Billigkino.«
    Jonah spürte einen Stich des Bedauerns. Jenkins war schön und freundlich und einfühlsam, und vielleicht hätte er ihr gerne länger zugehört, hätte sie vielleicht sogar berühren mögen. Sie hatte die geschmeidige Tänzerinnenstatur, die er bei Frauen mochte. Kleine Brüste, schlanke Taille, schmale Hüften, lange Beine. Doch seit er zum ersten Mal getötet hatte, war er entschlossen, Abstand zu anderen Menschen zu wahren, bis er sich unter Kontrolle haben würde. Er konnte es sich nicht leisten, dass ihm jemand nah genug kam, um die Dunkelheit in seinem Innern zu sehen. In eine Frau einzudringen bedeutete, diese Frau in einen selbst eindringen zu lassen. »Ein andermal«, sagte er. »Ich erkunde neue Umgebungen gern selbst – zumindest bis ich mir einen ersten Eindruck verschafft habe. Das gehört zu den Dingen, die mir an der Arbeit als Vertretungsarzt gefallen.«
    »Allein zu sein«, bemerkte Jenkins gutmütig.
    »Vielleicht«, sagte Jonah.
    Sie zuckte mit den Achseln und machte zwei Schritte auf die Tür zu. »Sie sind ein interessanter Fall«, sagte sie. Sie wollte hinausgehen, doch dann drehte sie sich noch einmal zu Jonah um. »Es interessiert Sie vielleicht zu hören, dass Paul eine Magnetresonanztomographie für Benjamin veranlasst hat.«
    »Oh?«, sagte Jonah.
    »Glioblastome, genau wie Sie gesagt haben – und genau dort, wo Sie gesagt haben.«
    »Früh genug entdeckt?«, wollte er wissen.
    »Vielleicht«, sagte Jenkins. »Paul hat einen Neurochirurgen und einen Onkologen hinzugezogen.«
    »Ein Neuroradiologe wäre am besten«, sagte Jonah. »Gamma-Knife-Radiochirurgie ist die beste Methode bei einem Glioblastom an der betreffenden Stelle. Dieser Bereich des Gehirns ist sehr reich an Blutgefäßen. Sie müssen Benjamin schnellstens in ein Universitätskrankenhaus verlegen. Johns Hopkins wäre ideal. Das Baylor in Houston wäre meine zweite Wahl.«
    Jenkins nickte. »Ich werde es Paul sagen.« Sie hielt kurzinne. »Was bei der Fallbesprechung passiert ist, war kein Anfängerglück, Jonah. Sie haben eine außergewöhnliche Gabe. Sie sind ein wahrer Heiler.« Sie drehte sich um und ging hinaus.
    Jonah blieb schweigend sitzen, während sich die Tür hinter Jenkins schloss. Dann stand er auf, trat an die Seite seines Schreibtisches und griff nach seiner Aktentasche. Er trug sie in den kleinen Garderobenschrank im Büro und stellte sie vorsichtig hinter seinen Mantel.
     
     

4
     
    Nachmittag, 20. Februar 2004
    Chelsea, Massachusetts
     
    Frank Clevenger hatte die Füße auf seinen Schreibtisch gelegt und beobachtete aus dem Fenster seines Büros am Hafenrand von Chelsea, wie drei Küstenwachboote eine Flottille von Schleppern umkreisten, die mal ziehend, mal schiebend einen Öltanker zu seiner Anlegestelle am Mystic River bugsierten. Chelsea war ein Gemälde in Öl und Schmutz, eine winzige, grimme Hafenstadt im Schatten der Tobin Bridge, deren Stahlskelett sich in einem weiten Bogen nach Boston spannte, während ihre riesigen Betonfüße tief im Gewirr der Mietskasernen, Imbissbuden, Glücksspielstuben und Schlachthäuser von Chelsea verankert waren. Öl trieb auf dem Fluss und sickerte in den Boden. Man konnte es in der Luft riechen. Die Straßen waren wortwörtlich leicht entflammbar, und zweimal, 1908 und 1973, waren Dutzende von Häuserblocks niedergebrannt.
    Clevenger liebte diesen Ort. Es war eine Stadt ohne Heuchelei, zwei kunterbunt voll gebaute Hügel, die in ein chaotisches Tal übergingen, wo die Menschen schlicht ums Überleben kämpften und nicht blind versessen dem guten Leben hinterherliefen.
    Früher kamen die Tanker herein, dann wurde ihnen ihr schwarzes Blut abgezapft, und sie trieben kleinlaut wieder davon, ohne mehr Aufmerksamkeit zu erregen als

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