Psychopathen
Säbelrasseln abgetan: Japan, so hieß es, ergreife lediglich Maßnahmen, um die Annektierung seiner Botschaften auf feindlichen Territorien zu verhindern. Zu den Rechtfertigungen zählten u. a.: »Die Japaner würden es nie wagen, einen großen Überraschungsangriff gegen Hawaii zu führen, weil ihnen klar werden würde, dass damit ein totaler Krieg herbeigeführt würde, den die USA sicher gewännen« und »Selbst wenn die Japaner so töricht wären, ihre Flugzeugträger loszuschicken, um uns [dieVereinigten Staaten] anzugreifen, würden wir diese sicher rechtzeitig entdecken und zerstören«.
Die Geschichte hat gezeigt, dass dies ein Irrtum war.
Als Beispiel für die Zweckdienlichkeit einer psychischen Fehlersuche sowie der spirituellen Qualitäten der Furchtlosigkeit und mentalen Härte, die typisch für heroisches Handeln sind, zeigen sowohl das Challenger- als auch das Pearl-Harbor-Fiasko faszinierende Parallelen zwischen der Arbeit von Philip Zimbardo und der zuvor erwähnten Arbeit von Diana Falkenbach und Maria Tsoukalas auf. An früherer Stelle haben wir die Möglichkeit erforscht, dass psychopathische Merkmale wie Charme, ein geringes Angstlevel und Stressimmunität – die Charakteristika, die Falkenbach und Tsoukalas in vergleichsweise höherem Maß bei Heldenpopulationen identifizierten – sich durchaus einer Seitenschiene in unserem evolutionären Gen-Pool bemächtigt haben könnten, weil sie Konfliktlösungen erleichtern. Sowohl bei Schimpansen als auch bei Makaken und Gorillas kämpfen die dominanten Individuen um ein Weibchen, indem sie bei Streitigkeiten zwischen Untergebenen intervenieren.
Eine alternative Erklärung lautet jedoch (wobei die beiden Erklärungen weit davon entfernt sind, sich gegenseitig auszuschließen), dass diese Merkmale sich auch aus genau dem entgegengesetzten Grund entwickelt und die Zeit überdauert haben könnten: wegen ihrer katalytischen Fähigkeit, Konflikte zu schüren.
Ein solcher Standpunkt würde sich besser decken mit einer orthodoxeren Lesart der Evolution der Psychopathie. 164 Die darwinistische Interpretation der Psychopathie basiert traditionell vor allem auf dem nonkonformistischen Aspekt der Störung (das erste Kriterium für die Antisoziale Persönlichkeitsstörung lautet, wie wir in Kapitel 2 erfahren haben: »Unfähigkeit, sich an soziale Normen anzupassen«), d. h. darauf, dass den Psychopathen soziale Konventionen kalt lassen: Konventionen wie Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Verantwortungsbewusstseinund Monogamie, [38] aber auch soziale Konformität, die in einer weit zurückliegenden turbulenten und heimtückischen Vergangenheit sicherlich nicht nur zu gefährlich schlechten Entscheidungen, sondern auch zu einem entsetzlichen Tod beigetragen hätte.
Es ist das Prinzip von David und Goliath: dem kleinen Kerl mit der Schleuder, der immun war gegen den Druck einer schädlichen Insider-Empathie.
Die einsame Stimme in der Wüste.
Jack der Stripper
Forscher und Kliniker behaupten oft, dass Psychopathen kein Mitgefühl zeigen – dass sie aufgrund ihrer lethargischen Amygdala einfach nicht auf dieselbe Weise empfinden wie der Rest von uns. Wie man im Rahmen von Studien herausfand, gehen bei Psychopathen, wenn man ihnen erschütternde Bilder wie die von Opfern einer Hungerkatastrophe zeigt, die Lichter in den Emotionskorridoren des Gehirns einfach nicht an: Ihr Gehirn zieht – unter fMRT-Bedingungen betrachtet – einfach nur die emotionalen Fensterrollos herunter und verhängt eine neuronale Sperrstunde. 165
Zuweilen haben solche Sperrstunden ihre Vorteile – zum Beispiel in medizinischen Berufen. Doch manchmal lassen die Rollos überhaupt kein Licht mehr herein und das Dunkel wird undurchdringlich.
Im Sommer 2010 bestieg ich ein Flugzeug nach Quantico, Virginia, um Supervisory Special Agent James Beasley III von der Behavioral Analysis Unit (Verhaltensanalyseeinheit) des FBI zu interviewen. Beasley gehört zu Amerikas führenden Autoritätenin puncto Psychopathen und Serienkiller und hat Profile von Straftätern jeder Art erstellt. Von Kindesentführern bis hin zu Vergewaltigern. Und von Drogenbaronen bis hin zu Amokläufern.
Nach 27 Jahren als Bundesbediensteter, von denen er die letzten 17 Jahre am National Center for the Analysis of Violent Crime verbrachte, gibt es nicht mehr viel, was Special Agent Beasley nicht gesehen oder gehört hat. Oder womit er nicht unmittelbar zu tun hatte. Doch vor einigen Jahren interviewte er einen Typen, dessen
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