Psychopathen
»sich in ihre Lage zu versetzen«, hätte er sie dann tatsächlich so effektiv hereinlegen können?
Ich würde sagen, nein – der sadistische Serienmörder braucht ein Mindestmaß an
kognitiver
Empathie, an ›Theory of Mind‹. 168
Andererseits muss aber auch ein gewisser Grad an emotionaler Empathie vorhanden sein. Denn wie sonst könnte man es genießen, seine Opfer leiden zu sehen? Es genießen, sie zu schlagen, zu quälen und so weiter? Die Antwort ist ganz einfach: Man würde es nicht genießen.
Die Quintessenz ist, so seltsam das auch scheinen mag, also die: Sadistische Serienmörder fühlen den Schmerz ihrer Opfer auf dieselbe Weise, wie Sie oder ich ihn fühlen würden. Sie spüren ihn kognitiv und objektiv. Und sie spüren ihn auch emotional und subjektiv. Der Unterschied zwischen ihnen und uns besteht jedoch darin, dass für sie dieser Schmerz zum eigenen, subjektiven
Vergnügen
wird.
Je mehr Empathie sie empfinden, desto größer wird ihr Vergnügen, könnte man wohl sagen. Was ziemlich krank ist, wenn man darüber nachdenkt.«
Das ist es in der Tat. Doch als ich dasitze und Beasley zuhöre, fange ich an, Verbindungen zu erkennen. Mit einem Mal ergibt alles einen Sinn.
Greg Morant, einer der skrupellosesten Betrüger der Welt und nachweislich ein Psychopath, strotzte nur so vor Empathie. Und genau das machte ihn so gut, so gnadenlos geschickt darin, die psychischen Druckpunkte seiner Opfer zu lokalisieren und sich darauf zu konzentrieren.
Die Spiegelneuronen-Studie von Shirley Fecteau, in der die Psychopathen mehr Mitgefühl zeigten als die Nicht-Psychopathen. In dem Video, das Fecteau den Probanden zeigte, ging es um körperlichen Schmerz: eine Nadel, die in eine Hand gebohrt wurde.
Und natürlich Mem Mahmuts Experiment zur Hilfsbereitschaft. Angesichts der Tatsache, dass die Psychopathen bei der Variante mit dem »gebrochenen Arm« mehr Mitgefühl zeigten als die Nicht-Psychopathen, hat Mahmut möglicherweise die Stirn gerunzelt.
James Beasley hingegen überrascht das nicht.
»Genau, wie ich es vorhergesagt hätte«, meint er ohne zu zögern. »Obwohl ich vermute«, er hält kurz inne und wägt die Möglichkeiten ab, »obwohl ich vermute, dass es davon abhängt, welche Art von Psychopathen er getestet hat.«
Beasley erzählt mir von einer Studie, die Alfred Heilbrun, ein Psychologe der Emory University, in den 1980er-Jahren durchgeführt hatte. 169 Heilbrun analysierte die Persönlichkeitsstruktur von über 150 Straftätern und unterschied auf der Basis dieser Analyse zwischen zwei völlig unterschiedlichen Psychopathentypen: dem, der (wie Henry Lee Lucas) eine schlechte Impulskontrolle, einen niedrigen IQ und wenig Mitgefühl hatte, und dem, den eine bessere Impulskontrolle, ein hoher IQ, eine sadistische Motivation und ein erhöhtes Mitgefühl kennzeichnete (einem Psychopathem also vom Schlag eines Ted Bundy oder, wenn Sie so wollen, eines Hannibal Lecter).
Hinter den Daten verbarg sich eine schaurige Wahrheit: Zu der Gruppe, die am meisten Mitgefühl zeigte, gehörten Heilbruns Taxonomie entsprechend Psychopathen mit einem hohen IQ und einer Geschichte extremer Gewalt, bei der es sich vorrangig um Vergewaltigungen handelte: einen Akt, der gelegentlich eine stellvertretende, sadistische Komponente mit einschließt. Gewaltakte, bei denen anderen Schmerz und Leid zugefügt werden, werden häufiger vorsätzlich als aus einem Impuls heraus begangen, wie Heilbrun aufzeigte. Und es ist außerdem Mitgefühl nötig und das Bewusstsein des Täters für den Schmerz, den sein Opfer empfindet, um erregt zu werden und die anschließende Befriedigung der sadistischen Ziele zu erreichen.
Anscheinend sind nicht alle Psychopathen farbenblind. Einige sehen die Stoppschilder auf genau dieselbe Weise wie der Rest von uns. Sie entscheiden sich eben einfach nur, bei Rot über die Ampel zu fahren.
Die Maske hinter dem Gesicht
Die Tatsache, dass zumindest ein Teil der Psychopathen Mitgefühl empfindet und vielleicht sogar in höherem Maß als wir Übrigen, könnte durchaus einiges dazu beitragen, das Geheimnis aufzuklären, wieso es den Psychopathen in Angela Books Studie, in der es um das Erkennen von Schwachpunkten ging, besser gelang als den Nicht-Psychopathen, die Schwächen traumatisierter Angriffsopfer an deren Haltung und Gang zu erkennen.
Sollten Sie jedoch glauben, dass ausschließlich Psychopathen dazu in der Lage sind, kaum wahrnehmbare Hinweise auf tiefe Emotionen und unverarbeitete, verdrängte
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