Psychopathen
auf dem psychopathischen Spektrum einnehmen, werden sie doch von einem gemeinsamen metaphysischen Plan geleitet – der unaufhörlichen Suche nach immer neuen und intensiveren Erfahrungen: sei es der Kampf auf Leben und Tod mit einem geistesgestörten Meisterverbrecher, die unerklärliche toxische Macht, einem anderen das Leben zu nehmen, oder die transzendentale Reinheit ewiger Wanderschaft.
Diese Offenheit für Erfahrung ist für Psychopathen und Heilige kennzeichnend – und sie stellt, wie Sie sich erinnern werden, einen integralen Bestandteil der Achtsamkeitsmeditation dar. Doch sie ist nur eine von vielen Eigenschaften, die diese scheinbaren Gegenspieler gemein haben (siehe Abb. 7.2). Nicht alle psychopathischen Merkmale sind spirituelle Merkmale und umgekehrt. Einige überschneiden sich jedoch. Und Offenheit für Erfahrung ist vielleicht die grundlegendste Gemeinsamkeit.
Hunter S. Thompson würde dem sicherlich zustimmen. Und schließlich ist Offenheit für Erfahrung ja auch das einzige Merkmal, mit dem wir geboren werden.
Abb. 7.2. Die Beziehung zwischen psychopathischen und spirituellen Merkmalen
Nach meinem Besuch beim FBI in Quantico fahre ich weiter nach Florida, um Urlaub zu machen. Als ich mir an einem wolkenlosen Sonntagmorgen die letzten Stunden vor dem Rückflug nach Hause im Stadtzentrum von Miami vertreibe, stoße ich in den
calles
von Little Havana zufällig auf einen Flohmarkt. Auf einem Tisch mit Krimskrams liegt neben einem Stapel Puzzle-Spiele ein Exemplar von ›Gestatten Archibald. Intime Geständnisse‹, dessen mitternachtsblauer Schutzumschlag von der Sonne und dem Salz des Meeres zu einem tropischen Türkis verblasst ist.
In diesem Buch des berühmten New Yorker Kolumnisten Don Marquis aus dem Jahr 1927 sind die Verse des komischen Titelhelden Archy – eines Kakerlaks mit einer merkwürdigen Vorliebe für Dichtung – und seine verrückten Abenteuer mitseiner besten Freundin Mehitabel festgehalten, einer reinkarnierten streunenden Katze, die behauptet, in einem früheren Leben Cleopatra gewesen zu sein.
Ich blättere das Buch durch. Und ziehe ein paar Dollar aus der Tasche. Das ist was für den Rückflug, denke ich. Am Abend stoße ich 12 000 Meter über dem Nordatlantik auf das folgende Gedicht von Archy.
Es ist ein Gedicht über Motten. 175 Aber es ist auch ein Gedicht über Psychopathen.
Ich lasse es kopieren. Und stecke es in einen Rahmen. Und nun hängt es über meinem Schreibtisch: eine entomologische Erinnerung an die Horizonte der Existenz.
Und die brutale, unter einem schlechten Stern stehende Weisheit derer, die sich dorthin vorwagen.
Mottenphilosophie
gestern abend habe ich mit einer
motte gesprochen
sie versuchte andauernd
in eine elektrische Glühbirne
hineinzukommen
und sich an den glühfäden
zu braten
warum macht ihr
motten das eigentlich
fragte ich
gehört das etwa mit zu
eurem leben oder so
wenn das jetzt statt
einer elektrischen birne
eine offene kerze gewesen wäre
würdest du jetzt nur noch
ein häufchen asche sein
habt ihr denn gar keinen grips
massenhaft antwortete sie
aber manchmal haben wir davon
die nase voll
unser alltag
wird langweilig
und wir sehnen uns nach aufregung
und schönheit
feuer ist etwas schönes
und wir wissen daß es uns tötet wenn
wir ihm zu nahe kommen
aber was macht das schon
besser man ist einen augenblick
lang glücklich
und wird von der schönheit verschlungen
als daß man ein langes leben
voller langeweile hat
deshalb legen wir unser
ganzes selbst in diesen einen
augenblick und vergehen
dazu ist das leben doch da
und bevor ich sie noch zu einer
anderen philosophie überreden konnte
flatterte sie davon und
stürzte sich voller wohlgefallen
auf ein brennendes feuerzeug
ich selbst bin gar nicht ihrer meinung
ich würde lieber halb so glücklich
aber zweimal so lange leben
doch gleichzeitig wünsche ich
es gäbe etwas wonach ich mich mit derselben
leidenschaft sehnen könnte
mit der sie aufs
verschmoren bedacht war
°
powered by www.boox.to
°
ANHANG
Danksagung
Psychologisch betrachtet gibt es Autoren jeglicher Couleur. So würde es mir theoretisch relativ leicht fallen, ein Buch zu schreiben, das die Menschen zum Lachen bringt. Ein Buch zu schreiben, das sie wie ›Gehirnflüsterer‹ zum Lachen und Nachdenken bringt (wie diejenigen sagen, die mich mögen), ist da schon ein bisschen schwieriger. Eines zu schreiben, das die Menschen nur zum Nachdenken bringt, tja ... das ist
Weitere Kostenlose Bücher