Psychopathen
oder kannten, ins Gedächtnis zu rufen, auf den eine solche Beschreibung ihrer Meinung nach passte (und der in seinem Beruf erfolgreich war)? Wenn ja, konnten sie die Persönlichkeit dieser Person mithilfe des Fünf-Faktoren-Tests beurteilen?
Die Ergebnisse waren interessant. Wie nicht anders zu erwarten, wurden die erfolgreichen Psychopathen – die man unter anderem aus der akademischen Welt sowie der Welt des Business und des Gesetzesvollzugs heraufbeschwor [13] – als ebenso ruchlos und niederträchtig eingestuft wie ihre erfolglosen Kollegen und wie diese als »unehrlich, ausbeuterisch, mit einem geringen Reue- und Schuldempfinden ausgestattet, arrogant und oberflächlich« beschrieben.
Bis hierhin also keine Überraschungen.
Als es um die Big Five ging, setzten sich die Ähnlichkeiten jedoch fort. Wie in der Studie von Donald Lynam, in der die Experten ihre Bewertungshüte aufsetzten, wird der erfolgreiche Psychopath so wie sein prototypisches Alter Ego als jemand dargestellt, der (hypothetisch) bei Merkmalen der Dimension Extraversion wie Durchsetzungsfähigkeit, Erlebnishunger und Aktivität hohe Werte und bei Merkmalen der Dimension Verträglichkeit wie Altruismus, Entgegenkommen und Bescheidenheit niedrige Werte erzielt. Mit Ausnahme der Selbstdisziplin (bei der die erfolglosen Psychopathen floppten und die erfolgreichen sich hervortaten) nähern sich auch die Gewissenhaftigkeitsprofile an, wobei beide Gruppen die höchsten Punktzahlen bei Kompetenz, Ordnungsliebe und Leistungsstreben erreichen.
All dies wirft die Frage auf: Wo liegt der entscheidende Unterschied? Macht allein die Selbstdisziplin den Unterschied zwischenerfolgreichen und erfolglosen Psychopathen, zwischen Präsidenten und Pädophilen aus? Angesichts des Gleichstands in allen anderen Bereichen könnte da tatsächlich etwas dran sein. Die Fähigkeit, Belohnungen aufzuschieben und dem Drang, die Flinte ins Korn zu werfen, widerstehen zu können, mag durchaus der ausschlaggebende Punkt dafür sein, dass das Pendel statt zugunsten krimineller Aktivitäten zugunsten eines strukturierteren, weniger impulsiven und weniger antisozialen Lebensstils ausschlägt.
Wobei jedoch die Frage der kriminellen Aktivität eigene Probleme aufwirft. Sowohl in der PCL-R als auch im Kriterienkatalog des
DSM
für die Antisoziale Persönlichkeitsstörung gelten »polytrope Kriminalität« bzw. »wiederholtes Begehen von Handlungen, die einen Grund für eine Festnahme darstellen« als wesentliche Determinanten der Psychopathie. Mit anderen Worten, als Symptome. Wie die Studie von Mullins-Sweatt zeigt, trifft jedoch keines dieser Items notwendigerweise auf den erfolgreichen Zweig der Spezies zu. Es ist durchaus möglich, ein Psychopath, aber kein Krimineller zu sein.
Sind also die erfolgreichen Psychopathen keine »echten« Psychopathen? Fehlen ihnen im Vergleich mit ihren verrufenen, ruchloseren Namensvettern bestimmte Synapsen? Die Frage ist schwierig zu beantworten. Doch in dem Versuch, genau das zu tun, stellte sich vor fünfzehn Jahren ein Psychologe dieser Herausforderung. Und landete mit mir und einem Berg Alligator-Tortillas in einem Restaurant in der City von Atlanta.
Die leichten Jungs unter den Psychopathen
1996 schlugen sich Scott Lilienfeld und sein Mitarbeiter Brian Andrews genau mit diesem Rätsel herum. Als erfahrener Forscher auf diesem Gebiet, der schon so manchem Psychopathen gegenüber gesessen hatte, war Lilienfeld zu einem verblüffenden Schluss gekommen. Was die ursprüngliche Definition derStörung betraf – das traditionelle Konzept dessen, was es wirklich bedeutete, ein Psychopath zu sein, wie Hervey Cleckley es dargelegt hatte –, verhielten sich die PCL-R und andere klinische Messinstrumente selbst ziemlich merkwürdig. Im Lauf der Jahre, so erkannte Lilienfeld, hatte sich der diagnostische Fokus erweitert. Hatte man sich anfänglich auf die Persönlichkeitsmerkmale konzentriert, die die Störung kennzeichneten, so fokussierte man sich nun ebenso stark, wenn nicht noch stärker, auf antisoziale Handlungen. Der Psychopathenzirkus war im Schlamm der Forensik stecken geblieben.
Als Paradebeispiel führten Lilienfeld und Andrews die Furchtlosigkeit an. In seinem ursprünglichen Manifest von 1941 hatte Cleckley behauptet, ein geringes Angstlevel stelle eines der Hauptmerkmale des Psychopathen dar. Doch wo genau tauchte
das
in der Psychopathie-Checkliste auf? Derlei Auslassungen waren, wie Lilienfeld herausfand, Ausdruck einer größeren
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