Psychopathen
zu Tode erschreckt.«
Seinen eigenen Aussagen zufolge hat Newman manchmal selbst diesen Blick. Er geht nicht so weit zu sagen, dass man, um einen anderen genau zu kennen, so sein muss wie er. Doch als jemand, der in den schäbigeren Straßen von New York aufwuchs, weiß er, wie es sich anfühlt, wenn ein Messer, eine Waffe oder alles Mögliche andere auf einen gerichtet wird. Dafür sei er dankbar, erklärt er ohne die geringste Spur von Ironie. Es war ein Vorgeschmack auf das, was da kommen würde. In der akademischen Welt.
Newman ist genügsamer als die meisten anderen, wenn es um die Auswahlkriterien für einen Psychopathen geht. »Meine Hauptsorge ist die, dass man mit dem Etikett [Psychopath] zu großzügig und ohne ausreichendes Verständnis der Schlüsselelemente umgeht«, sagt er leise und in einem fast entschuldigenden Ton. »Das führt dazu, dass fast jedem Tür und Tor geöffnet sind und der Begriff oft auf normale Kriminelle und Sexualstraftäter angewendet wird, deren Verhalten vielleicht in erster Linie soziale Faktoren oder andere emotionale Probleme widerspiegelt, die eher auf eine Behandlung ansprechen als die Psychopathie.«
Er ist zudem völlig offen für die Vorstellung, dass es auch außerhalb des kriminellen Firmaments Psychopathen gibt, die oft bestens in Berufen wie den folgenden zurechtkommen: Chirurg, Anwalt oder Firmenchef – etwas, das Menschen, die mit den Bausteinen der psychopathischen Persönlichkeit nicht so vertraut sind, vielleicht überraschen würde. »Die Kombination von geringer Risikoaversion und fehlenden Schuldgefühlen oder fehlender Reue, den beiden zentralen Säulen der Psychopathie«, so Newman, »kann je nach Umstand zu einer erfolgreichen Karriere im kriminellen Milieu oder im Business führen. Manchmal zu beidem.«
So weit, so gut. Doch wenn es um die Ätiologie der Störung, die ihr zugrunde liegende Ursache geht, schwimmt Newman gegen den Strom. Der gängigen Theorie zufolge sind Psychopathen unfähig, Angst, Empathie und eine Reihe anderer Gefühlezu empfinden – wodurch ihre soziale Wahrnehmung »betäubt« ist. Das macht es ihnen wiederum unmöglich, derlei Gefühle bei anderen zu dulden. Diese Ansicht vertritt unter anderem James Blair vom National Institute of Mental Health in Bethesda, ein weiterer Experte auf dem Gebiet der Psychopathie. Sie impliziert eine neuronale Dysfunktion – vor allem in Bezug auf die Amygdala, den Emotions-CEO des Gehirns, und einige eng mit ihr verbundene Strukturen wie den Hippocampus, die obere Schläfenfurche, den anterioren cingulären Kortex und den orbitofrontalen Kortex – als die Hauptursache des Syndroms, als die wichtigste biologische Basis hinter der dem Industriestandard entsprechenden psychopathischen Dyade: die verhaltensmäßigen Begleiterscheinungen einer profunden emotionalen Beeinträchtigung und ein wiederholtes antisoziales Handeln.
Doch Newman sieht die Sache anders. Er glaubt nicht, dass Psychopathen unfähig sind, Angst zu empfinden – dass sie so emotionslos sind, wie sie traditionell in der Literatur beschrieben werden –, sondern ist vielmehr der Meinung, dass sie den Angstauslöser einfach nur nicht bemerken. Stellen Sie sich z. B. vor, Sie hätten eine Spinnenphobie und Ihnen würde allein bei dem Gedanken an irgendetwas mit acht Beinen der kalte Schweiß ausbrechen. Und genau jetzt, in diesem Augenblick, würde vielleicht eine Vogelspinne nur wenige Zentimeter über Ihrem Kopf baumeln. Wenn Sie jedoch nicht wissen, dass die Vogelspinne da ist, werden Sie keine Angst vor ihr haben, oder? In Ihrem Gehirn existiert sie einfach nicht.
Mithilfe eines genialen Experiments demonstrierte Newman, dass dies die Erklärung für die angebliche Emotionslosigkeit der Psychopathen sein könnte. Nicht nur in Bezug auf Spinnen, sondern auf die meisten Dinge. 50 Sie empfinden kein Leid und erkennen auch nicht, wenn andere leiden, weil sie in dem Moment, in dem sie sich auf eine Aufgabe fokussieren, die eine unmittelbare Belohnung verspricht, alles »Irrelevante« ausblenden. Sie bekommen einen emotionalen »Tunnelblick«.
Newman und seine Mitarbeiter präsentierten einer Gruppe von Psychopathen und Nicht-Psychopathen eine Reihe falsch beschrifteter Bilder wie die folgenden.
Abb: 2.3. Die Bild-Wort-Stroop-Aufgabe (in Anlehnung an Rosinski, Golinkoff & Kukish, Do Words Really Interfere in Naming Pictures?, 1975)
Die Aufgabe, die unter Kognitionspsychologen, vor allem denjenigen, deren Interesse den der
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