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Psychopathen

Psychopathen

Titel: Psychopathen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Dutton
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Crewmitglieder, die noch ihre Nachtkleidung trugen, zwängten sich in ein Langboot, das für nur sieben Menschen gebaut war. Da ein Sturm heraufzog und bereits ein eisiger Atlantikregen eingesetzt hatte, wurde dem ersten Offizier Francis Rhodes bald klar, dass das Langboot leichter gemacht werden müsste, wenn irgendjemand die Chance haben sollte, zu überleben. Derselbe Gedanke war auch dem Kapitän, George L. Harris, gekommen, der sich mit einer Handvoll anderer in ein Beiboot gerettet hatte. Doch er betete darum, dass ihnen das erspart bliebe. »Ich weiß, was Sie tun werden müssen«, gestand er Rhodes. »Aber behalten Sie es für sich. BetrachtenSie es als letzten Ausweg.« Am folgenden Morgen segelte er nach Nova Scotia und überließ das unglückselige sinkende Langboot seinem Schicksal.
    Im Verlauf des 20. April verschlechterten sich die Bedingungen und die Wellen türmten sich immer höher auf. Das Boot schlug leck und füllte sich trotz verzweifelten Ausschöpfens zunehmend mit Wasser. Die Situation war hoffnungslos. Und so wurde am Abend des 20. April um 22 Uhr eine folgenschwere Entscheidung getroffen: Man würde einige Menschenleben opfern müssen. Das sei den Betroffenen gegenüber nicht unfair, argumentierte Rhodes, weil sie ohnehin umgekommen wären. Unternehme er hingegen nichts, wäre er verantwortlich für den Tod derer, die er hätte retten können.
    Wie nicht anders zu erwarten, waren nicht alle Anwesenden mit dieser Schlussfolgerung einverstanden. Die Abweichler sahen die Sache so: Wenn man nichts unternahm und als Folge davon alle ertranken, war niemand für irgendjemandes Tod verantwortlich. Würde Rhodes jedoch einige von ihnen auf Kosten auch nur eines Menschen retten, könne er das nur tun, indem er diesem vorsätzlich das Leben nahm. Damit würde er sein Leben als Mörder beschließen und vermutlich alle anderen ihr Leben auch. Das wäre bei Weitem das größere Übel.
    Rhodes ließ sich von diesen Einwänden nicht umstimmen. Er konterte, ihre einzige Hoffnung zu überleben, abgesehen von der Herkulesaufgabe das Boot zu rudern, damit sie sich über Wasser hielten, bestehe darin, dass etwas oder
jemand
dran glauben müsse.
    »Möge Gott mir beistehen! An die Arbeit, Männer«, rief Rhodes den Deckarbeitern zu, als er und der Gefreite zur See Alexander Holmes sich an das grausige Geschäft machten, Menschen in den tosenden, tiefschwarzen Nordatlantik zu stoßen. Die anderen Seeleute sahen zunächst tatenlos zu, sodass Rhodes sie ein zweites Mal ermahnen musste:
    »Macht euch an die Arbeit, Männer, oder wir kommen alle um!«
    Die Zahl der Toten stieg. Vierzehn männliche Passagiere wurden geopfert, einschließlich zweier, die sich versteckt hatten. Übrig blieben nur zwei verheiratete Männer und ein Junge sowie die Frauen, mit zwei Ausnahmen: den Schwestern eines Mannes, der über Bord gegangen war und die sich freiwillig dazu entschieden hatten, ihm zu folgen.
    Irgendwann nahte Rettung. Die Überlebenden wurden von einem Fischdampfer aufgenommen, der nach Le Havre unterwegs war. Und als sie schließlich in Philadelphia ankamen, reichten sie Klage beim Bezirksstaatsanwalt ein. Am 13. April 1842, fast auf den Tag ein Jahr, nachdem er den eisigen Atlantik überlistet hatte, musste sich der Gefreite zur See Alexander Holmes wegen Mordes vor Gericht verantworten. Er war das einzige Crewmitglied, das man in Philadelphia auftreiben konnte. Und der Einzige, der je für sein Handeln angeklagt werden sollte.
    Frage: Wenn
Sie
zu den Geschworenen gehört hätten, wie hätten
Sie
diesen Fall beurteilt?
    Bevor Sie antworten, möchte ich Ihnen gern noch sagen, warum ich danach frage. Vor ein paar Jahren konfrontierte ich eine Gruppe von Studenten, von denen die eine Hälfte hohe Punktwerte beim PPI erzielt hatte, die andere Hälfte niedrige, mit diesem Dilemma. Jeder der Studenten hatte drei Minuten Zeit, über das Problem nachzudenken, und musste dann in einem versiegelten Umschlag sein Urteil abgeben. Ich wollte wissen, ob die Unterschiede bei den PPI-Werten Einfluss auf ihre Entscheidung haben würden.
    Ich brauchte nicht lange, um es herauszufinden.
    Von den zwanzig Probanden, die beim PPI eine niedrige Punktzahl erreicht hatten, kam nur einer innerhalb der drei Minuten zu einem Urteil. Die anderen überlegten noch. Bei den zwanzig Probanden am anderen Ende der Skala lief die Sache jedoch völlig anders. Ohne Ausnahme waren sie zu einer Entscheidung gelangt. Und alle zum selben Ergebnis. Holmes war

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