Psychopathen
Todes« und ein Leben, das »einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz ist«, in der Zuflucht der Übereinkunft zu finden ist. Der Bildung von Allianzen mit anderen.
Zweifellos spiegelten die Bedingungen von Axelrods Turnier die Bedingungen der menschlichen und vormenschlichen Evolution wider. Was frühe Gemeinschaften anging, waren ein paar Dutzend regelmäßig miteinander interagierende »Individuen« in etwa die richtige Anzahl. Ebenso hatte jedes Programm nicht nur die Fähigkeit, sich an frühere Begegnungen zu erinnern, sondern konnte auch sein Verhalten entsprechend anpassen. Es war also eine faszinierende Vorstellung, diese Theorie der moralischen Evolution. Ja, mehr noch. Wenn man sich ansah, was Axelrod zunächst in seine mathematische Wurstmaschine hineingestopft hatte und was am anderen Ende herausgekommen war, konnte die moralische Evolution durchaus so verlaufen sein. »Überleben des Bestangepassten« schien nicht zu heißen, dass Konkurrenz unterschiedslos belohnt wurde, wie man früher gedacht hatte. Unter bestimmten Umständen öffnete Aggression vielleicht durchaus Türen (man denke nur an Jim und Buzz). Unter anderen Umständen schloss sie die Türen möglicherweise jedoch ebenso leicht. Wie wir im Fall der Heiligen und der Gauner gesehen haben.
Die Psychopathen haben es also, wie sich herausstellt, nur halb richtiggemacht. Die Härte der Existenz, die brutale Wahrheit, dass
manchmal
dort draußen tatsächlich nur die Stärksten überleben, lässt sich nicht leugnen. Aber das soll nicht heißen, dass es so sein
muss
. Die Sanftmütigen, scheint es, besitzen tatsächlich die Erde. Nur dass es entlang des Weges zwangsläufigUnfälle gibt. »Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu«, war schon immer ein vernünftiger Ratschlag. Doch jetzt, rund 2000 Jahre später, haben wir dank Robert Axelrod und Anatol Rapoport endlich die Mathematik, um es zu beweisen.
Natürlich steckt in uns allen etwas von einem Psychopathen, der vor der Algebra von Frieden und Liebe flieht. Wie es aussieht, haben unsere Oberherren vom Büro für natürliche Auslese den Psychopathen über die Jahre hinweg evolutionäres Asyl gewährt. Schon möglich, dass die Moral von den Heiligen und den Gaunern in darwinistischen Stein gemeißelt ist: Wenn jeder Vollgas gibt, wird schließlich niemand mehr da sein. Doch in unserem Alltag gibt es auch Zeiten, in denen
jeder
vernünftiger- und legitimerweise und im Interesse der Selbsterhaltung aufs Gas drücken muss. Lassen Sie uns noch ein letztes Mal zu Axelrods Turnier zurückkehren. Der Grund dafür, dass das Programm TIT FOR TAT ohne jedes Erbarmen und unaufhaltsam die Spitzenposition erklomm, lag daran, dass hinter seinem freundlichen Äußeren ein stahlharter Kern verborgen war. Wenn die Situation es verlangte, war es kein bisschen zimperlich, wenn es ums Nachtreten ging. Im Gegenteil: Es rächte sich, sobald sich die Gelegenheit dazu bot. TIT FOR TAT verdankte den Erfolg sowohl seiner skrupellosen dunklen Seite wie auch seiner vorgeblich sonnigen Seite. Wenn es hart auf hart kam, war es in der Lage, sich der Herausforderung zu stellen und es mit den Besten aufzunehmen.
Die Schlussfolgerungen sind so klar wie möglicherweise entnervend. TIT FOR TATs Erfolgsrezept hat eindeutig psychopathische Züge. Da ist einerseits der oberflächliche Charme. Und andererseits das unbarmherzige Streben, sich am anderen zu rächen. Und schließlich ist da auch das gelassene Selbstbewusstsein, zur Normalität zurückzukehren, so als sei nie etwas geschehen.
Das Programm ist zweifelsfrei keine Aryan Brotherhood. Doch zwischen den Schaltern und den seelenlosen, synaptischenZuckungen lauern Echos ihres Credos. Sprich sanft und trag einen großen Knüppel bei dir, heißt es. Ein guter Ratschlag, wenn man vorankommen will – sowohl in der virtuellen als auch der realen Welt. Was – um zu unserer früheren Frage zurückzukehren – der Grund dafür ist, dass Psychopathen noch immer auf Erden wandeln. Und nicht spurlos in den tödlichen darwinistischen Strömungen verschwunden sind, die den Genpool terrorisieren.
Die Gesellschaft wird immer Hasardeure brauchen, so wie sie auch Regel- und Herzensbrecher braucht. Wenn es sie nicht gäbe, würden überall zehnjährige Jungen in Teiche fallen und ertrinken.
Und wer weiß, was auf See geschehen würde.
Wenn der erste Offizier Francis Rhodes und der Gefreite zur See Alexander Holmes nicht den Mut aufgebracht hätten, das
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