Psychopathen
Langeweile ... So, wie viele Teenager,
Heilige
[Hervorhebung des Autors], Geschichte schreibende Staatsmänner und andere namhafte Führer oder Genies ist er von Unruhe getrieben: Er will etwas an der Situation ändern.« 142
Harrington zitiert auch Norman Mailer: »[Der Psychopath] ist die Elite innerhalb einer potenziell skrupellosen Elite ... Seine innere Erfahrung der Möglichkeiten des Todes ist seine Logik. Dasselbe gilt für den Existenzialisten. Und den
Heiligen
[Hervorhebungdes Autors] und den Stierkämpfer und den Liebenden.« 143
Die Implikationen sind faszinierend. Ist es möglich, fragt Harrington, dass der Heilige und der Psychopath zwei transzendentale Seiten derselben existenzialistischen Medaille darstellen? Ist es möglich, »ob wir es zugeben wollen oder nicht, dass sich der äußerst niederträchtige, völlig unentschuldbare Psychopath seinen Weg in einen Zustand der Gnade mordet? Dass er mit entsetzlichen Mitteln eine Art Zustand der Reinheit erreicht? Dass er durch sein Martyrium und das Martyrium, das er anderen auferlegt, zu einem anderen Menschen wird? Dass sein Geist durch Drama, Publizität, Ruhm und Terror geläutert wird?« 144
Neutestamentlern würde es möglicherweise schwerfallen, dem zu widersprechen, auch wenn es ihrer intellektuellen Empfindsamkeit zuwiderläuft. Vor zweitausend Jahren billigte ein gewisser Saulus von Tarsus den Tod unzähliger Christen, nachdem deren Anführer öffentlich hingerichtet worden war – und könnte heute nach der Genfer Konvention wegen Völkermord angeklagt werden.
Wir wissen alle, was mit
ihm
passiert ist. Die eindrucksvolle Bekehrung auf der Straße nach Damaskus [35] verwandelte den mörderischen, skrupellosen Zeltmacher praktisch über Nacht in eine der wichtigsten Figuren in der Geschichte der westlichen Welt. Der hl. Paulus, wie er üblicherweise heute genannt wird, ist der Autor von knapp mehr als der Hälfte des Neuen Testaments (vierzehn der siebenundzwanzig Bücher, die dieses Werk ausmachen, werden ihm zugeschrieben) und der Held derApostelgeschichte. Außerdem ist er auf einigen der schönsten Kirchenfenster verewigt. 145
Höchstwahrscheinlich war er aber auch ein Psychopath. In gleichem Maße skrupellos, furchtlos, getrieben und charismatisch.
Wir wollen uns die Sache ein wenig genauer ansehen. Aufgrund seiner Vorliebe für gefährliche, ungastliche Aufenthaltsorte – ob nun draußen auf der Landstraße oder in brodelnden Innenstädten – ist Paulus ständig dem Risiko gewalttätiger Angriffe ausgesetzt. Wenn man bedenkt, dass er während seiner Mittelmeerreisen dreimal Schiffbruch erlitt, wobei er einmal 24 Stunden auf dem offenen Meer herumtrieb, bevor er gerettet wurde, dann entsteht das Bild eines Mannes, der sich wenig oder gar keine Gedanken um seine Sicherheit macht.
Er ist ein gewohnheitsmäßiger Gesetzesbrecher, der unfähig zu sein scheint, aus seinen Fehlern zu lernen (entweder war es das oder Gleichgültigkeit). Paulus war während seines Aposteldienstes mehrmals im Gefängnis, ja er verbrachte insgesamt rund sechs Jahre hinter Gittern. Er wurde brutal ausgepeitscht (fünfmal erhielt er die Höchstzahl von 39 Peitschenhieben: Zu viele konnten einen Menschen töten) und bei drei Gelegenheiten mit Ruten geschlagen. Und einmal wurde er in der Stadt Lystra, heute in der Türkei gelegen, von einer Volksmenge so brutal gesteinigt, dass man ihn hinterher für tot hielt und dem Brauch entsprechend aus der Stadt schleifte.
Die Bibel berichtet, was als Nächstes passierte: »Als aber die Jünger ihn umringten, stand er auf und ging in die Stadt. Am anderen Tag zog er mit Barnabas nach Derbe weiter.« (Apostelgeschichte 14,20)
Würden Sie in aller Ruhe in eine Stadt zurückkehren, deren Bewohner gerade mit aller Macht versucht haben, Sie zu Tode zu steinigen? Ich bezweifle, dass ich das tun würde.
Und wir sind noch nicht am Ende. Da ist der rastlose Herumtreiber, der ständig unterwegs ist, weil sein Leben bedroht wird. Als der Statthalter von Damaskus Tag und Nacht die Stadttorebewachen ließ, um Paulus festzunehmen, ließ er sich von seinen Jüngern in einem Korb von der Stadtmauer hinabexpedieren. Da ist der kalte einflussreiche Politiker, der keine Angst hat, auf den Gefühlen anderer herumzutrampeln, egal, wie wichtig oder wie loyal sie sind. Seinen Streit mit Petrus in Antiochia, bei dem er Petrus beschuldigte, ein Heuchler zu sein, weil er die Nichtjuden zwinge, die Bräuche der Juden zu übernehmen, während er
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