Psychopathen
einfach nur registriert und dann fallen gelassen werden.« 154
Laut dem Mahāsatipatthāna-Sutta, einem der wichtigsten Texte im Kanon des Theravada-Buddhismus, führt ein solches Training, wenn man es konsequent betreibt, schließlich zur »Entwicklung von Einsicht sowie der Fähigkeit zu Sachlichkeit, Nicht-Klammern und Loslassen«. 155
Fähigkeiten, die Psychopathen, wie wir gesehen haben, von Natur aus zu haben scheinen.
Damit hören die Ähnlichkeiten zwischen der westlichen psychopathischen Mentalität und den transzendentalen Denkarten des Ostens jedoch noch nicht auf. In jüngerer Zeit haben Psychologen wie Mark Williams von der University of Oxford, dem wir im vorangegangenen Kapitel begegnet sind, und der oben erwähnte Neurowissenschaftler Richard Davidson den innovativen, integrativen, wenn auch empirisch anspruchsvollen Prozess eingeleitet, die positive Wirkung der buddhistischen Meditationspraxis in einem systematischeren, therapeutisch und klinisch orientierten Rahmen zu nutzen.
Bislang scheint das zu funktionieren. Achtsamkeitsbasierte Interventionen haben sich, wie wir gesehen haben, als besonders effektive metakognitive Strategie bei der Behandlung von Symptomen der Angst und Depression erwiesen – zwei Zustände, gegen die Psychopathen völlig immun sind.
Die grundlegenden Prinzipien der Therapie orientieren sich stark an den bereits umrissenen traditionellen buddhistischen Lehren. Doch es gibt noch eine Zutat: eine Art naive, kindhafte Neugier, die stark an »Offenheit für Erfahrung«, einen der Faktoren der Big-Five-Persönlichkeitsstruktur erinnert, die wir in Kapitel 2 erforscht haben. Und ein Faktor, bei dem Psychopathen, wie Sie sich erinnern werden, eine sehr hohe Punktzahl erzielen.
»Die erste Komponente [der Achtsamkeit] umfasst die Selbstregulierung der Aufmerksamkeit, sodass sie auf die unmittelbare Erfahrung gerichtet bleibt«, erklärte der Psychiater Scott Bishop im Jahr 2004 in einer der bahnbrechenden wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema. »Das ermöglicht ein besseres Erkennen mentaler Ereignisse im gegenwärtigen Augenblick. Bei der zweiten Komponente geht es um die Ausrichtung auf die eigenen Erfahrungen im jeweiligen Moment, eine Ausrichtung, die gekennzeichnet ist durch Neugier, Offenheit und Akzeptanz.« 156
Oder durch
shoshin
, den »Anfänger-Geist«, wie bei den Zen-Buddhisten die Meister der Kampfkunst sagen würden.
»Im Geist des Anfängers gibt es viele Möglichkeiten«, erklärt Shunryu Suzuki, einer der am meisten gefeierten buddhistischen Lehrer der Gegenwart. »Im Geist des Experten nur wenige.« 157
Wer wollte ihm da widersprechen? Als Charles Dickens beschloss, Scrooge die Geister der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu schicken, wählte er jene drei Gespenster, die uns alle verfolgen. Wenn wir unsere Gedanken jedoch fest in der Gegenwart verankern, das Geplapper der nörgelnden, mit Gegenbeschuldigungen aufwartenden Vergangenheit und der schwer zu fassenden, aufdringlichen Zukunft ausschalten, lässtdie Angst nach. Die Wahrnehmung wird geschärft. Und die Frage wird zu einer nach dem Nutzen: was wir mit diesem allumfassenden »Jetzt«, dieser gewaltigen Gegenwart anfangen sollen, sobald wir sie erleben. »Genießen« wir den Moment, so wie ein Heiliger? Oder »ergreifen« wir ihn, so wie ein Psychopath? Denken wir über die Art der Erfahrung nach? Oder fokussieren wir unsere Aufmerksamkeit in dem ungebändigten Streben nach sofortiger Belohnung allein auf uns selbst?
Vor etlichen Jahren reiste ich auf der Suche nach der Antwort auf ein Rätsel zu einem entlegenen Kloster in Japan. Das Rätsel betraf einen Test: einen, dem sich diejenigen unterziehen, die sich in den höheren Gefilden der spirituellen Kampfkunst bewegen.
Bei diesem Test muss ein Kämpfer sich hinknien – die Arme an der Seite und mit verbundenen Augen –, während ein anderer Kämpfer hinter ihm steht und ein Samurai-Schwert direkt über seinen Kopf hält. In einem von ihm gewählten, seinem verwundbaren Gegner unbekannten Moment lässt der stehende Kämpfer das Schwert auf den Körper des Knienden hinabsausen und fügt ihm damit Verletzungen zu, ja verursacht wahrscheinlich sogar seinen Tod. Es sei denn, der Schlag wird irgendwie abgewehrt. Und der Schwertkämpfer dann schnellstens entwaffnet.
Ein solches Unterfangen erscheint unmöglich. Doch das ist es nicht.
Den Test, den ich gerade beschrieben habe, gibt es tatsächlich: ein altes, hervorragend choreografiertes
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