Psychopathen
Urteilen als »moralisch vertretbar« ein als die Nicht-Psychopathen. Sie waren besser darin, Babys zu ersticken oder zumindest mit dem damit verbundenen Schmerz fertig zu werden als ihre moralisch zimperlicheren Gegenspieler. Und es würde ihnen vermutlich auch eher gelingen, am Leben zu bleiben und das Leben derjenigen zu retten, mit denen sie sich im Kellergeschoss versteckt haben, sollten die Umstände dies erfordern.
Aber das war noch nicht alles. So, wie ich es im Zusammenhang mit dem
William-Brown -Beispiel
(siehe Kapitel 3) festgestellt hatte, fanden auch Kiehl und seine Mitarbeiter heraus, dass die Psychopathen im Allgemeinen nicht nur weniger moralische Bedenken hatten als die Nicht-Psychopathen, sondern auch viel weniger Zeit brauchten, um die ihnen vorgelegten Dilemmata zu lösen. Sie gelangten schneller zu einer Entscheidung hinsichtlich der angemessenen Vorgehensweise. Und nicht nur das: Die kürzeren Reaktionszeiten waren, so wie Martin Klasen es unter den Bedingungen des Flow-Zustands beobachtet hatte, mit einer verringerten Aktivität im anterioren cingulären Kortex verbunden.
Das galt jedoch nur im Fall von Szenarien mit einem »hohen Konfliktpotenzial«. Bei Dilemmata mit einem »geringen Konfliktpotenzial« existierte dieser Unterschied nicht. Die Psychopathen lehnten so wie Nicht-Psychopathen die Vorstellung ab, Pillen in die Teekanne der Großmutter zu geben.
Die Sache scheint ziemlich eindeutig zu sein. Wenn viel auf dem Spiel steht und man mit dem Rücken zur Wand steht, dann ist es gut, einen Psychopathen an seiner Seite zu haben. Wenn es jedoch um nichts geht und man die Ruhe selbst ist, kann man das vergessen. Psychopathen schalten dann nämlich ab – und brauchen genauso viel Zeit, in die Gänge zu kommen wie der Rest von uns.
Tatsächlich haben EEG-Studien aufgezeigt, dass die Gehirnevon Psychopathen und Nicht-Psychopathen auf Aufgaben und Situationen, die hoch interessant oder äußerst motivierend sind, ausnahmslos unterschiedlich reagieren. Wenn die Stunde geschlagen hat, ist bei Psychopathen im Vergleich zu Nicht-Psychopathen eine signifikant größere Aktivierung in den linken präfrontalen Gehirnregionen zu beobachten (der Bereich direkt hinter der linken Stirnhälfte): eine zerebrale Asymmetrie, die verbunden ist mit beträchtlich verringerter Angst, einer stärkeren positiven Gemütsbewegung, einer erhöhten Aufmerksamkeitsfokussierung und einer stärkeren Belohnungsorientierung.
Und auch, wie es den Anschein hat, mit spirituellen Zuständen. Der Neurowissenschaftler Richard Davidson von der University of Wisconsin hat exakt dasselbe Profil bei der Elite buddhistischer Mönche, den spirituellen olympischen Kämpfern des Himalajas, festgestellt, wenn diese in tiefer Meditation versunken waren. 152
»Eine Vielzahl von Beweisen [legen nahe], dass die besten Sportler und Sportlerinnen psychische Fähigkeiten [entwickelt] haben, die es ihnen ermöglichen, sich zu konzentrieren und ihre Angst zu kontrollieren«, erklärt Tim Rees, ein Sportpsychologe der University of Exeter. 153 »Es gibt auch eine Vielzahl von Beweisen dafür«, so fügt er hinzu, »dass auf einem bestimmten Leistungslevel die mentale Stärke den Unterschied ausmacht und darüber entscheidet, ob man zu den Spitzenathleten zählt.«
Die geistige Haltung, die die Großen von den Guten und, wie Kent Kiehl uns zeigt, in gewissen gefährlichen Situationen die Lebenden von den Toten unterscheidet, ist ihrem Wesen nach psychopatisch.
Und spirituell.
Halt alle Uhren an
Die Verbindung, die Csíkszentmihályi und andere zwischen dem »Verweilen in der Gegenwart« und dem Fehlen von Angstgezogen haben, ist natürlich nicht neu. So bildet z. B. die Praxis der »richtigen Achtsamkeit« die siebte Stufe auf dem edlen achtfachen Pfad, einer der wichtigsten Lehren des als Buddha bekannten Siddhartha Gautama vor rund 2500 Jahren.
In seinem Buch ›The Noble Eightfold Path: The Way to the End of Suffering‹ beschreibt Bhikkhu Bodhi, ein Mönch der Theravada-Tradition, was diese Praxis beinhaltet:
»Der Geist wird bewusst im Zustand
barer Aufmerksamkeit
gehalten, ein unvoreingenommenes Beobachten dessen, was im Augenblick in uns und um uns herum geschieht. Beim Praktizieren der richtigen Achtsamkeit wird der Geist darauf trainiert, in der Gegenwart zu bleiben und offen, ruhig und aufmerksam das gegenwärtige Ereignis zu betrachten. Alle Urteile und Interpretationen sollten ausgeblendet, oder aber, wenn sie doch auftauchen,
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