Psychose: Thriller (German Edition)
ruhigen Straße auf den Bürgersteig.
»Das ist nicht richtig«, flüsterte er wieder und immer wieder.
Er war müde und hatte Hunger.
Im Kopf ging er alles noch einmal durch, was seit seiner Ankunft in Wayward Pines geschehen war, und versuchte, einen Sinn hineinzubringen. Er wollte sich einen Gesamteindruck verschaffen in der Hoffnung, dass sich die bizarren Begegnungen dann zu einem Problem zusammenfügen würden, das er lösen konnte. Oder dass es zumindest einen Sinn ergab. Aber je mehr er sich anstrengte, desto mehr fühlte er sich, als würde er im Inneren einer Wolke festsitzen.
Und indem er hier herumsaß, würde er auch nichts daran ändern.
Er stand auf und ging in Richtung Main Street.
Geh zum Hotel. Vielleicht wartet da eine Nachricht von Theresa oder Hassler auf dich.
Er wusste, dass er sich falsche Hoffnungen machte. Dort würde ihn keine Nachricht erwarten, sondern nur Feindseligkeit.
Ich verliere nicht den Verstand.
Ich verliere nicht den Verstand.
Er sagte immer wieder laut seinen Namen. Seine Sozialversicherungsnummer. Seine Adresse in Seattle. Theresas Mädchennamen. Das Geburtsdatum seines Sohnes. Alles fühlte sich real an. Wie Informationen, die seine Identität bildeten.
Er fand Trost in Namen und Zahlen.
Während er den nächsten Block hinunterging, erweckte plötzlich ein Klicken seine Aufmerksamkeit.
Auf der anderen Straßenseite befand sich eine unbebaute Parzelle, auf der einige Picknicktische, ein paar Grills und eine Bahn zum Hufeisenwerfen aufgebaut waren. Einige Familien schienen dort ein Fest zu feiern und eine Gruppe von Frauen stand neben einigen roten Kühlboxen. Zwei Männer drehten Hotdogs und Burger auf einem Grill um und der Rauch stieg in blauen Schwaden zum ruhigen Abendhimmel hinauf. Der Duft rief Ethan in Erinnerung, wie leer sein Magen war, und er merkte, dass er hungriger war, als er gedacht hatte.
Neues Ziel: essen.
Er überquerte die Straße, während in der Ferne Grillen zirpten und Rasensprenger klickten.
Ist das alles real?
, fragte er sich.
Kinder jagten einander über den Rasen, kreischten, lachten, jauchzten.
Spielten Fangen.
Zwei Männergruppen standen einander in Sandgruben gegenüber und warfen Hufeisen, während der Rauch ihrer Zigarren ihre Köpfe wie explodierte Heiligenscheine umgab.
Ethan hatte die freie Parzelle schon fast erreicht und beschloss, die Frauen anzusprechen. Seinen Charme spielen zu lassen. Sie wirkten wie anständige Leute, die einen perfekten Moment im amerikanischen Traum lebten.
Er rückte seine Jacke zurecht, als er vom Asphalt auf den Rasen ging, strich die Falten glatt und richtete seinen Kragen.
Fünf Frauen. Eine Anfang zwanzig, drei zwischen dreißig und vierzig und eine mit grauen Haaren, die Mitte bis Ende fünfzig sein musste.
Sie tranken Limonade aus durchsichtigen Plastikbechern und sprachen über irgendwelchen Nachbarschaftsklatsch.
Noch hatte ihn keine bemerkt.
Als er noch drei Meter entfernt war und darüber nachdachte, wie er sie möglichst unaufdringlich ansprechen konnte,drehte sich eine Frau in seinem Alter um, sah ihn an und lächelte.
»Hallo«, sagte sie.
Sie trug einen Rock, der ihr bis über die Knie reichte, rote, flache Schuhe und eine karierte Bluse. Mit ihrem altmodischen Kurzhaarschnitt sah sie aus, als wäre sie einer Sitcom aus den 50er-Jahren entsprungen.
»Hi«, entgegnete Ethan.
»Darf ich Sie zu unserer kleinen Nachbarschaftsparty einladen?«
»Ich muss zugeben, dass mich der Duft des Gegrillten angelockt hat.«
»Ich bin Nancy.« Sie entfernte sich von den anderen und streckte die Hand aus.
Ethan schüttelte sie.
»Ethan.«
»Sind Sie neu hier?«, erkundigte sie sich.
»Ich bin erst seit ein paar Tagen in der Stadt.«
»Und wie gefällt es Ihnen in unserem kleinen Nest?«
»Das ist eine sehr schöne Stadt. Sehr einladend und angenehm.«
Sie lachte.
»Wohnen Sie hier in der Nähe?«, wollte Ethan wissen.
»Wir wohnen alle in den angrenzenden Blocks. Die Leute aus der Nachbarschaft treffen sich wenigstens einmal die Woche, um im Freien zu essen.«
»Wie in den alten Fernsehserien.«
Die Frau wurde tiefrot. »Was führt Sie nach Wayward Pines, Ethan?«, fragte sie dann.
»Ich mache hier Urlaub.«
»Wie schön. Ich habe schon ewig keinen Urlaub mehr gemacht.«
»Wenn man an einem solchen Ort lebt«, sagte Ethan und deutete auf die Berge in der Umgebung, »warum sollte man dann noch wegfahren?«
»Hätten Sie gern einen Becher Limonade?«, fragte Nancy. »Sie ist
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