Psychotherapeuten im Visier
Kugel des Gegners.
Was anderes war die Annahme zum Duell als eine suizidale Handlung? Bei einer Überlebenschance von 50 zu 50 war das Risiko eindeutig. Aber der Ehrenkodex bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ließ diese Form des suizidalen Wagnisses zu, nein, bekräftigte sogar die Moralität und die Würde des Geschehens. Der in Kauf genommene Tod durch einen Duellgegner war Ehrensache, das Duell des Suizidalen mit sich selbst ist dagegen bis heute verpönt – darüber wird nicht gesprochen.
Aber warum dann nicht wenigstens in erster Instanz mit dem eigenen Therapeuten? Warum nicht? Warum nicht mit
den vertrauten, engen Angehörigen, den Freunden? Dafür gibt es für mich nur eine einzige Erklärung: Mutlosigkeit – Mutlosigkeit auf allen Seiten, aber sicher am wenigsten beim planenden Suizidenten selbst. Der erwartet nur eines: Das erlösende Gespräch – mit wem auch immer. Natürlich am liebsten mit seinen Nächsten, aber eben auch mit dem Hausarzt, dem Therapeuten, dem Psychiater. Aber genau diese Offenheit und Akzeptanz des Themas Suizid gibt es nur selten. Für den Hausarzt bedeutet ein solches Gespräch viel emotionalen und zeitlichen Einsatz, den er nicht honoriert bekommt, außerdem wird er sich mit der Thematik häufig überfordert fühlen. Psychiater und Psychologen wären zu einer Auseinandersetzung mit dem Suizid natürlich in der Lage, aber hier ist es dann häufig der Kranke, der sich nicht traut, gleichsam mit der Tür ins Haus zu fallen, ist er sich doch bei den ersten Gedanken an einen möglichen Suizid noch gar nicht sicher, was ihn als Reaktion erwartet – sofortige Überweisung in die Psychiatrie wegen möglicher Selbstgefährdung? Die stationäre Psychiatrie hat nicht gerade einen schmeichelhaften Ruf unter den Gesunden, schließlich würde es sich dort nicht um einen entspannten Hotelaufenthalt mit seelischem Handauflegen handeln.
Der Tod von eigener Hand beinhaltet in der Betrachtung anderer stets ein Werturteil, das von Rücksichtslosigkeit gegenüber den Nächsten, über Eitelkeit bis zum moralisierenden Unverständnis reicht. Das offene und vorurteilslose Gespräch allein über die Möglichkeit des Suizids ist in unserer Gesellschaft kaum möglich.
Dagegen liest sich das Kapitel »Vom freiwilligen Handanlegen an sich selbst« in dem Buch des Dichters und Philosophen Francesco Petrarca wie ein Aufruf, sich dem Thema Suizid nicht nur moralisch, sondern vor allem intellektuell zu
stellen. In Rede und Gegenrede legt er dem zu Allem entschlossenen Suizidenten die Gründe dar, warum seine Entscheidung vor der Umsetzung einer gründlichen und überzeugenden Prüfung bedarf, nicht aber Folge emotionaler Entwurzelung oder einer spontanen Kurzschlusshandlung sein darf. Das Buch »Heilmittel gegen Glück und Unglück«, aus dem das genannte Kapitel stammt, hat Petrarca 1366 vollendet. Der große jüdische Kunsthistoriker Max Friedländer hat etwa 650 Jahre später den klugen Dialog Petrarcas auf die prägnante Kurzformel gebracht, das jeder Tod von eigener Hand verfrüht erfolge. Diese nüchterne Formulierung enthält sich jeder moralischen und ethischen Wertung, sie ist allein von Empathie geprägt: Du, der du diese Absicht zum Suizid hast, würdest – gäbe es diese Möglichkeit über den Tod hinaus – den Schritt schon bald bereuen. Zu derselben Erkenntnis kommt übrigens auch Petrarca, dessen Argumentation allerdings stark religiös geprägt ist, wenn auch erstaunlicherweise in erster Linie nüchtern-intellektuell.
Ich vermisse bei all den Betrachtungen über den Suizid zuerst einmal den Respekt vor dem Suizidenten. Es ist leicht, die Handlung eines anderen zu kritisieren, weil sich der eine gern über den anderen erhebt. Mir geht es daher vor allem um den Wunsch, dass wir uns als Gesellschaft, aber auch jeder Einzelne und vor allem die Therapeuten sich gerade mit der intellektuellen ebenso wie der seelisch begründeten Haltung eines Suizidenten beschäftigen – ehe auch nur der Hauch einer moralischen Wertung vorgebracht wird. Diese fällt meist zuerst verbal aus, aber dem Suizidenten wird auch die kleinste Regung in der Körpersprache des Gegenübers deutlich signalisieren, ob es hier zu einem offenen und toleranten Gespräch kommen kann oder ob doch die Ängste vor dem Thema und der möglichen suizidalen Handlung überwiegen.
Kommt es auch nur zur kleinsten Verunsicherung, also dem Bruch im Vertrauen zu dem jetzt existenziell wichtigen Gesprächspartner, ist vielleicht die letzte
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