Psychotherapeuten im Visier
eines behandlungsbedürftigen Krankheitsgeschehens. Und wie ist die Situation in der psychiatrischen oder psychotherapeutischen Praxis? Wie spüre ich die Kompetenz, worauf kann ich mich verlassen, wo sind die Haltegriffe für meine Seele, so wie die Notaufnahme sie darstellt? Es gibt sie nicht, es sei denn, der Arzt oder Therapeut vermittelt in dem Bruchteil genau der entscheidenden Sekunde der Begegnung das so wichtige Vertrauenspotenzial: Hier ist jeder seelisch Kranke erstens willkommen, zweitens zuerst einmal an der richtigen Adresse und drittens wird hier alles getan, die biografische Desorientiertheit des depressiven Gegenübers schnell zu erkennen und mit großer Empathie wieder in die vertrauten oder aber auch in ganz neue Lebensbahnen zu lenken. Das wäre für mich der Idealzustand einer Erstbegegnung mit einem Psychotherapeuten. Aber nein, genau das entspricht nicht dem Selbstverständnis der Therapeutenzunft. Sie setzt zuerst einmal auf Distanz, spontane Herzlichkeit und eine Geste der Zuversicht gehören nicht zum therapeutischen Ritual. Der Patient soll bewusst auf sich selbst gestellt bleiben – ich nenne es hilflos sein. Nicht der Therapeut sucht den Dialog,
nein, der Patient soll sich in dem, was er sagt, in seinem Ich zu erkennen geben und das Gespräch bestimmen. Nur gelingt ihm genau das natürlich nicht, weil er gar nicht weiß, wie er mit dieser für ihn gänzlich neuen Situation umgehen soll. Übrigens: Dieses Setting wird ihn, wenn der Therapeut auf den von ihm aufgestellten Regeln beharrt, dann sehr lange verunsichern und befremden. Vorsicht ist geboten, wenn der Patient einer solchen Situation ausgesetzt ist.
Für mich sind diese Behandlungsrituale eine einzige Zumutung, sie sind zynisch und in manchen Fällen lassen sie auch einen gewissen Sadismus erkennen. Warum muss ein aus der seelischen Bahn geworfener Patient gequält werden, warum soll er sich allein selbst überlassen sein, warum soll die Behandlung jede Zielgerichtetheit außer Acht lassen? Ein Chirurg würde seinem Patienten doch auch nicht sagen: Hier haben Sie ein Skalpell, den Blinddarm müssen Sie aber schon selbst finden.
In vielen Fällen gleichen die therapeutischen Ansätze einem Ausgesetztsein – sich selbst und dem Therapeuten gegenüber. Wer sich in der Depression nicht mehr versteht, wen Angst und Verzweiflung plagen, bedarf vielmehr der aktiven Unterstützung, er braucht kleine Hilfestellungen und er hat ein Recht auf ein nachvollziehbares Behandlungskonzept – inhaltlich und zeitlich. Jetzt werden mir die Therapeuten vorhalten, ich plädiere ja damit für eine kalte und mechanische Behandlung, die nichts anderes zum Ziel hat, als den Betroffenen möglichst schnell wieder funktionsfähig zu machen. Dazu kann ich nur sagen: Ja, gerade der seelisch Kranke bedarf der Versicherung, dass auch seine Leidenszeit absehbar ist. Bei körperlichen Erkrankungen gibt es die statistisch gesicherte Verweildauer im Krankenhaus, jeder also kann sich informieren, wie lange er nach einer Leistenbruchoperation
wahrscheinlich im Krankenhaus verbringen muss. Und bei psychischen Erkrankungen, gibt es da auch solche Daten? Es gibt sie nicht und die dürre Begründung der Therapeuten ist, dass ja die seelischen Leiden einen äußerst individuellen Verlauf haben, der im Einzelfall überhaupt nicht vorhersehbar ist. Meine Einschätzung ist, dass die Abschätzung, wie lang der zeitliche Verlauf einer Behandlung ausfallen wird, den Therapeuten deshalb so schwerfällt, weil es keine Behandlungsstandards und vor allem keine Kontrolle des Therapeuten durch unabhängige Dritte gibt. Spätestens wenn die Krankenkasse die Zahlung für eine weitere Behandlung verweigert, sollte der Patient hellhörig werden. Ihm wird suggeriert, dass er nicht genug für seinen Behandlungserfolg getan hat, meist aber ist das Gegenteil der Fall: Der Therapeut hat versagt.
Damit komme ich zurück zur Bedeutung und Gefahr der Suggestion. In der Psychotherapie erlebt der Patient gewissermaßen das janusköpfige Spiegelbild seiner eigenen Lebenserfahrung: die Stärke und Überlegenheit, nach der er sich so sehnt, und sei es auch nur nach dem, was sich dort als gesundheitliche Normalität zeigt. Das andere Bild konfrontiert ihn mit seiner Hilflosigkeit, seiner Schwäche und im Wortsinne seiner Sprachlosigkeit. Was soll er auf die dünne Frage des Therapeuten »Was empfinden Sie dabei?« denn antworten? Natürlich würde er gern eine kraftvolle und überzeugende Antwort
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