Psychotherapeuten im Visier
sich von den Kranken zurückgestoßen oder gar manipuliert fühlen. Dieses Geflecht aus den für sie so geheimnisvoll anmutenden neuen Seiten der bisher so vertrauten Person wollen sie erklärt bekommen, sie erhoffen sich schon beim ersten Gespräch befreiende Handlungsanweisungen und natürlich eine entlastende Begründung, ob vielleicht sie selbst sogar das Problem sein könnten. Aber so weit wagen sich die meisten in einer
ersten Begegnung mit dem Therapeuten gar nicht vor. Wird ein solches Gespräch als zu kurz empfunden, bleibt Enttäuschung und Unverständnis zurück. Was alles hätte noch angesprochen werden müssen! In ihrem Selbstverständnis des beobachtenden Seelenanalysten machen es die Therapeuten den Angehörigen oft nicht gerade leicht, das Gespräch in Gang zu halten. Schnell fühlen sich diese in ihrer Not und Orientierungslosigkeit alleingelassen. Sie erwarten Antworten, erhalten aber nur vage Bruchstücke an Einschätzungen. Warum können Therapeuten in einer solchen Begegnung nicht einfach einmal Mensch sein und sich in die Rolle des Angehörigen hineinversetzen, Zuversicht ausstrahlen, Mut machen, um Verständnis werben, den Angehörigen wo möglich in das Geschehen einbeziehen oder auch erklären, warum das gerade in diesem Fall nicht hilfreich wäre?
Ich kenne Therapeuten, die auch mit ihren eigenen Kindern wie mit Patienten umgehen, jedes Verhalten wird gedeutet, jedes Unterlassen gewertet. Auch die Alltagssprache ist durchsetzt von psychologisierenden Floskeln. Ich habe diese Kinder immer bedauert, weil sie gleichsam stets unter einer deutenden Beobachtung standen – Kindheit als therapeutischer Prozess, wenn auch ohne Abrechnungsziffer. Wenn es Therapeuten noch nicht einmal schaffen, im eigenen Familienkreis die Rolle zu wechseln, wie soll ihnen das dann im Umgang mit Angehörigen von Kranken gelingen? Empathie jedenfalls scheint auf dem Lehrplan im Studium von Psychiatern und Psychologen keinen besonderen Stellenwert zu haben.
Jede ärztliche Fachrichtung versucht die Unterstützung der Angehörigen eines Kranken zu nutzen – emotional und mental. Voraussetzung allerdings ist, dass die Ärzte in der Lage sind, sich auch Zeit für die Angehörigen eines Patienten
zu nehmen. Das ist am ehesten in einer Klinik gegeben, in der die als Patienten- und Angehörigenbetreuung aufgewendete Zeit nicht auch sofort in Geld umgerechnet werden muss, wie es aufgrund des wirtschaftlichen Drucks und des weitverbreiteten Wunsches nach Gewinnmaximierung in vielen Praxen der Fall ist.
Natürlich spielt der Zeitfaktor und damit die Frage nach der Honorarmaximierung auch in therapeutischen Praxen eine große Rolle, aber neben dieser nur allzu menschlichen Haltung im Sog einer nahezu allen Branchen inzwischen innewohnenden Haltung, dass aufgewendete Zeit auch immer gleich möglichst viel Geld einbringen soll, stellt sich die Situation bei niedergelassenen Theraputen noch einmal anders dar. Und das zu ihrem eigenen Nachteil, weil sie häufig ein Selbstverständnis pflegen, das eher auf Distanz denn auf zugewandte Nähe setzt. Welch vertane Chance für beide Seiten!
Wir unterscheiden ja ganz bewusst zwischen Ärzten und Medizinern. Wer in der Zunft allein auf den Status des Mediziners setzt, mag in die Forschung gehen, er sollte aber möglichst wenig Kontakt zu leidenden Patienten haben. Der Arzt dagegen setzt – neben aller medizinischen Professionalität – auf den Wirkmechanismus der über Jahrhunderte bewährten ärztlichen Magie. Damit sind allein persönliche Ausstrahlung und Empathie gemeint – und nicht die Scharlatanerie irgendwelcher selbst ernannten Heiler oder psychotherapeutischen Sektierer.
So wie es heißt, dass der Glaube Berge versetzen kann, so vermag auch die Magie eines empathischen Arztes oder Therapeuten den Genesungsprozess eines Patienten auf wunderbare, wenn auch oft unerklärliche, Weise günstig zu beeinflussen. Selbst in der Krankheit sind wir verführbar, das gilt für den Placeboeffekt ebenso wie für den Noceboeffekt.
Die Homöopathen setzen ganz selbstverständlich auf diese Phänomene und erzielen so mit der Kombination aus suggestivem Verhalten, im Blut nicht nachweisbarer Substanzen und praktizierter Empathie große Erfolge. Dass den meisten der verabreichten Mittel der wissenschaftliche Wirkungsnachweis fehlt, mag so manchen Schulmediziner ärgern, aber es zählt nun einmal die Erfahrung: Wer heilt, hat recht.
Dieses Selbstverständnis pflegt natürlich auch die
Weitere Kostenlose Bücher