Psychotherapeuten im Visier
sich in die lange Schlange der Hilfesuchenden einreihen müssen, als ginge es um den nächsten freien Platz auf der Entspannung verheißenden Massagebank in einer Wellnessoase.
Die meisten Angehörigen können sich vom seelischen Leid des Kranken kein wirkliches Bild machen. Und sie werden in ihrer Umgewissheit, ihrer Einschätzung, Fehleinschätzung und in ihren Vorurteilen jeden Tag darin bestärkt, dass es sich ja bei so geringer fachlicher Aufmerksamkeit gegenüber
der Depression vielleicht doch nicht um eine wirklich ernste Erkrankung handelt. Die Depression ist zwar nach der Selbsttötung immer wieder einmal ein medienwirksames Spektakel, das aber wegen seiner sprengstoffartigen Brisanz nie zu einer wirklichen Neubesinnung in Psychiatrie und Psychologie führt. In allen anderen medizinischen Fachrichtungen gibt es sehr wirkungsvolle Medienkampagnen, die entweder um Aufklärung, um Vorsorge, um Forschungsmittel und vor allem um mitfühlende Akzeptanz unserer Gesellschaft werben – viele davon mit überwältigendem Erfolg.
Mit der von mir initiierten Stiftung Deutsche Depressionshilfe hatte ich genau diesen Effekt im Blick. Mit großzügiger Unterstützung engagierter Freunde wurde viel Geld für diese Idee gespendet, es gab erste Erfolge in der öffentlichen Akzeptanz der Stiftung. Vieles war geplant, vieles hatte bereits die notwendigen Konturen einer erfolgreichen Kampagne im Sinne der Menschen, die so furchtbar unter Depressionen leiden.
Ich habe versucht, mein Bestes zu geben, um im Rahmen dieser Stiftung alles zu tun, um den Patienten, den Angehörigen und den engagierten Therapeuten, also all denen, die das Krankheitsphänomen Depression wirklich verstanden und verinnerlicht haben, eine Plattform zu schaffen.
Sehr bald begann sich abzuzeichnen, welche Brisanz eine solche Stiftung haben würde – fachlich, politisch sowie in der Innen- ebenso wie in der Außenwirkung. Und plötzlich wurden von den fachlich-therapeutischen Beteiligten Besitzansprüche angemeldet, die der Sache massiv geschadet haben. Biografische Eitelkeiten waren sehr schnell so viel dominanter als das gemeinsame Vorantreiben dieser so vielversprechenden Stiftung, dass ich mich irgendwann einer Phalanx von Gegnern gegenübersah, die allein ihre eigenen biografischen
Karriereinteressen durchsetzen wollten, anstatt sich ehrenamtlich dieser so wichtigen und vielversprechenden Stiftungsidee mit vollem Herzen zu verschreiben.
Wir müssen als Gesellschaft endlich erkennen, dass sowohl der Patient als auch seine Angehörigen eine Macht darstellen. Mit 18 Arztbesuchen pro Einwohner und Jahr – alle Babys mitgezählt – sind wir als Patienten die finanziellen Zuarbeiter der Ärzte und Therapeuten. Muss das eigentlich immer so sein? Ärzte haben mit dem Medium Krankenschein das Alleinstellungsmerkmal, nach außen über gesund oder krank zu entscheiden. Nur zu oft entscheiden sie dabei zum Wohl des zahlenden Patienten und ebenso zur Pflege ihrer Klientel – solange diese Geld in die Kasse spült. All das ging so lange gut, wie die Verantwortung dem Patienten gegenüber größer war als die eigenen Begehrlichkeiten. Diese Zeiten sind aber vorbei.
Menschen, die unter Depressionen leiden, sind geschwächt, in ihrem Selbstwert erschüttert und damit ohne eine wirkliche Stimme, mit der sie sich gegen die verkrusteten Strukturen des Medizin- und Therapeutengeschehens wehren könnten. Es geht mir nicht um Verunglimpfung der Therapeutenschaft, dafür kenne ich zu viele, die großartige Arbeit leisten, schnell, erfolgsorientiert im Sinne des Patienten und frei von allen alten Zöpfen therapeutischer Mumienvorstellungen. Bei ihnen steht die möglichst schnelle Genesung ihrer Patienten im Vordergrund – nichts anderes. Ob mit oder ohne medikamentöse Unterstützung oder gar als primärer Behandlungsansatz, es geht um die erfüllte Lebenszeit des Kranken, der, in seiner Selbsteinschätzung wiederhergestellt, endlich das Leben in seiner ganzen Komplexität wieder wahrnehmen können soll – mit den hellen ebenso wie auch mit den dunklen Seiten.
Generationen von Therapeuten haben ein solches effektives Therapieverständnis als Verbeugung vor der Arbeitswelt missverstanden, sie wollten immer der Selbstfindung den Vorrang geben – unabhängig von der Dauer der Therapie. Diese Haltung erklärt auch das verkrampfte Verhältnis zu den Angehörigen und im Gegenzug das der Angehörigen zu den Therapeuten.
Angehörige, Lebenspartner und Freunde sehnen sich
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