Psychotherapeuten im Visier
Lebenssituation zu entlasten und der Verantwortung zu stellen, sondern darum, das eigene Kranksein in der Depression zu akzeptieren und alles zu tun, um sich möglichst schnell aus den Fängen des seelischen Leidens zu befreien.
Die Beweislage in der Depression ist stets dünn, so dünn, dass es wie in einem Gerichtsprozess nie zu einer Anklage oder gar Verurteilung kommen würde. Es gibt entlastende ebenso wie belastende Lebenseinflüsse, ob sie in einer Depression münden, ist nicht vorhersehbar. Gäbe es nicht sonst längst eine »Seelenspiegelung« als gesundheitliche Vorsorgemaßnahme, so wie es die zu Recht dringend empfohlene Darmspiegelung gibt? Es gibt sie nicht, so wie das Depressions-Gen noch nicht nachgewiesen wurde. Die Depression bleibt ein Geheimnis, was aber nicht heißt, dass wir ihr hilflos ausgeliefert wären.
Bei jeder gründlichen ärztlichen Untersuchung steht am Anfang die Anamnese – altgriechisch: Erinnerung –, also die systematische Befragung nach den aktuellen Beschwerden, der gesundheitlichen Vorgeschichte sowie des genetischen Risikos des Patienten. Auf die Anamnese erfolgen die gründliche Untersuchung bis zur Verdachtsdiagnose, die Differenzialdiagnostik und schließlich das Erarbeiten eines Behandlungskonzeptes. Dieser Routineablauf kann einige Minuten, Stunden oder auch einige Tage dauern, aber selten länger. Bei Akuterkrankungen oder nach schweren Verletzungen
muss dagegen zuerst einmal sofort ärztlich kompetent und entschlossen gehandelt werden, alles andere hat in solchen dramatischen Situationen Zeit.
In der Depressionsbehandlung stellt sich die Situation anders dar: häufig eine zermürbend lange, sehr lange Anamnese – die eigentlich keine ist –, dann eine unscharfe Diagnostik und schließlich eine sich oft über Jahre hinziehende Behandlung mit Namen Psychotherapie mit offenbar frei interpretierbaren Konzepten, die einer Wirksamkeitsprüfung im Einzelfall nur in seltenen Fällen standhalten. Wenn der Begriff »Psychotherapie« endlich ernst genommen würde, nämlich als Verpflichtung zur selbstverantwortlichen Lebensführung des Patienten im Sinne einer Lebenslehre, dann wäre viel gewonnen, vor allem Lebenszeit für den an Depression Erkrankten. Nicht nur in der Chirurgie wird die Verweildauer der Patienten im Krankenhaus permanent verkürzt, auch andere ärztliche Disziplinen haben längst den positiven Effekt der Selbstverantwortung des Patienten im Genesungsprozess therapeutisch umgesetzt, nur die Psychotherapie hat hier keine Erfolge zu vermelden – sie hat aber traditionell eine starke Lobby im Gesundheitswesen. Wer will sich in der Politik schon anmaßen, über das Phänomen Seele zu befinden, da doch noch nicht einmal der Nachweis ihrer Existenz erbracht ist? Und wenn der Therapeut – ob Psychiater oder Psychologe – nach Jahren sagt, dass die Behandlung des Patienten gescheitert sei, dann nicht weil etwa der Therapeut eine Reihe von Fehlern gemacht hat, sondern weil der Patient behandlungsresistent gewesen sei.
Die Vorstellung, dass eine Vergangenheitsbewältigung in der Depression nicht nur hilfreich, sondern zwingend erforderlich sei, halte ich längst für überholt. Für den Patienten aber geradezu unerträglich ist die lange Wartezeit zwischen
den Therapiesitzungen – der typische Rhythmus heißt ein Termin pro Woche. In dieser Zeit ist der Kranke nun aufgefordert, sich über seine Situation, seine Vergangenheit und seine Zukunft Gedanken zu machen. Wie soll das gehen? Meist verfliegt bereits nach wenigen Stunden der Wirkeffekt der Therapiestunde, und danach dreht sich dann schon bald wieder der zermarternde Strudel von Selbstzweifeln und Ursachenforschung mit immer denselben Gedankenschleifen – nur wer diese Qual selbst erlebt hat, weiß, wie verzweifelt die Depressionskranken in den Intervallen zwischen den Behandlungsterminen sind, wie sie sich einen Therapieerfolg wünschen, für den sie alles zu geben bereit wären. Und dieses Schema soll ein therapeutisch sinnvolles Konzept sein, nur weil Freud auch nach bald 100 Jahren noch immer mit erhobenem Zeigefinger und strengem Blick die Psychoszene beherrscht? Wann haben Psychiater und Psychologen endlich den Mut, sich von dem sinnlosen Ballast längst überholter Therapiekonzepte zu befreien? Bisher tun dies nur die Scharlatane mit teuren Heilsversprechungen, was nur zeigt, wie verzweifelt Menschen sind, die sich in der Therapie derart allein gelassen fühlen.
Es ist beschämend mitansehen zu
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