Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Psychotherapeuten im Visier

Psychotherapeuten im Visier

Titel: Psychotherapeuten im Visier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Reiners
Vom Netzwerk:
müssen, wie sich die Therapeutenzunft mit fadenscheinigen Argumenten gegen neue Behandlungsverfahren wie internetgestützte Therapieformen wehrt. Andere Länder in Amerika und Europa sind da längst sehr viel weiter. Haben die Standesvertreter hierzulande Angst vor der elektronischen Konkurrenz, fürchten sie, dass es über den Umweg der elektronischen Medien zu einer effektiven Qualitätskontrolle eines jeden einzelnen Therapeuten kommen könnte, so wie sich Lehrer schon jetzt einer öffentlichen Bewertung ihrer Leistung durch die Schüler stellen müssen? Auch wenn es bei diesen meist anonym abgegebenen
Bewertungen einzelner Personen unschöne Entgleisungen von rachsüchtigen Schülern gibt, so ist das Prinzip einer Leistungsbewertung dennoch ungemein hilfreich und für all diejenigen, die sich in ihrer Profession als Lehrer engagiert Mühe geben, auch hochmotivierend. Leistung muss sich wieder lohnen – damit wirbt die Politik für mehr Engagement im Berufsleben. Der Lohn, der hier gemeint ist, soll eindimensional allein in Geld ausgedrückt werden. Wichtiger wäre es, darauf hinzuweisen, dass das, was nichts kostet, häufig in der Motivation sehr viel wirkungsvoller ist: Anerkennung, Lob und Wertschätzung.
    Niedergelassene Psychotherapeuten, mit denen es ja der nicht-stationäre Patient in der Regel zu tun hat, sind bisher in derselben Situation wie die Lehrer: sie sind Einzelkämpfer, die so gut wie keiner Kontrolle unterliegen. Man hat daher manchmal den Eindruck, dass sich die Therapeuten in ihrer Selbsteinschätzung schon genug sind und einer gleichsam öffentlichen Bewertung ihrer Arbeit nur zu gern aus dem Wege gehen. Welche Selbstüberschätzung!
    Dass die Praxen vieler Therapeuten überfüllt sind, hat nichts, gar nichts mit ihrer Qualität zu tun, sondern allein mit dem übergroßen Mangel an Therapieplätzen. Daran wird sich so lange nichts ändern, wie Vergangenheitsbewältigung ebenso honoriert wird wie andere, sehr viel effizientere Behandlungskonzepte. Die Zukunft in der Depressionsbehandlung liegt nicht auf der Couch, sondern im Internet. Je eher hier seriöse Programme für die Patienten angeboten werden, desto besser ist es für die unter Depression leidenden Menschen. Es geht jetzt darum, starre Standesregeln aufzubrechen und Mut zu beweisen. Es geht auch darum, dass die Therapeuten sich der Verantwortung stellen und nicht länger Entwicklungen mit fadenscheinigen Argumenten und dubiosen
Studien mit Kleinstgruppen ins Feld der Fachorgane schicken, um eine mögliche therapeutische Revolution so lange wie möglich hinauszuschieben. Es wäre für alle Beteiligen sehr viel sinnvoller, wenn sich Therapeuten endlich einer offenen und zielorientierten Diskussion stellen würden, als sich hinter den Mauern der Standesregeln zu verstecken.
    Der gesamte Medizinbetrieb in Deutschland ist, wie das Militär, hierarchisch organisiert. Jede Position wird mit den Klauen verteidigt, jede erreichte Hierarchiestufe zur Festung ausgebaut, um sich gegen die Angriffe neidischer Kollegen bestmöglich verteidigen zu können. All das kostet viel Kraft, die besser konstruktiv im Sinne der Patienten und ihrer Behandlung eingesetzt würde.
    Selbstüberschätzung und Arroganz in der Therapeutenzunft werden aber – seit Jahrhunderten ein nur zu häufig missbrauchtes Kampfmittel der Schreib- und Wissenskundigen – auch schlicht und einfach durch das unterschiedliche Kräfteverhältnis von Patient und Therapeut befördert. Schwache Charaktere sonnen sich gern in ihrer temporären Überlegenheit und verlieren nicht selten jeden moralischen Anstand. Die Götter in Weiß sind längst abgesetzt – sie haben es selbst zu verantworten. Die Therapeutenzunft meint starrköpfig, dieses Schicksal für den eigenen Berufsstand noch abwenden zu können. Aber da irrt sie. Schon den bald zu erwartenden ersten Angriff aus dem Internet wird sie nur mit heftigen Blessuren überstehen.

Angehörige: Keine Scheu vor Therapeuten!
    Begegnungen von Angehörigen mit Therapeuten werden häufig als problematisch empfunden – in der Erwartung ebenso wie in der Rückschau. Die Gründe sind vielfältig, die Tatsache an sich aber wirft ein kaltes Licht auf die Therapeuten. Kommt es irgendwann zu einem Treffen, dann sind die Gespräche häufig zeitintensiv, für die einen immer noch zu kurz, weil Angehörige zu wenig über die Depression wissen, oft vom Krankheitsgeschehen völlig überrascht sind, sich hilflos erleben, aber oft genug auch, weil sie

Weitere Kostenlose Bücher