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Pubertät – Loslassen und Haltgeben

Pubertät – Loslassen und Haltgeben

Titel: Pubertät – Loslassen und Haltgeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Rogge
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mildern und durch eine dem Alter und dem Entwicklungsstand angemessene Zielperspektive zu ersetzen. Es geht darum, Jessica im Hier und Jetzt anzunehmen, sie nicht mehr durch eine Zukunftsbrille («Du musst das Gymnasium schaffen!») zu sehen. Ein Kind wie Jessica muss körperlich gefordert werden.
    Selbstbewusstsein drückt sich im Schulalter – ich hatte darauf hingewiesen – auch durch ein Körperbewusstsein aus. Nur wenn ein Körper gesund ist, wenn man auf ihn achtet und ihn pflegt, kann sich eine seelisch-emotionale Entwicklung vollziehen.
    Stimmt die Balance von innen und außen, von Psyche und Physis, nicht, können sich Krisen in Form von Krankheiten zeigen. Jessicas Geschichte beweist das: Hohe Erwartungen lasteten auf ihr, sie wurde nur einseitig gefordert und damit überfordert. Ihr Körper revoltierte. Man erkannte diese Zeichen nicht und kurierte an Symptomen, ohne den Ursachen nachzugehen. Nachdem Jessica körperbetonte sportliche Aktivitäten aufgenommen hatte, stellte sich eine Balance ein. Parallel zu einem steigenden Selbstbewusstsein bildete sich auch ein positives Körperbewusstsein aus.
    Legale Drogen
    Beatrice, 17   Jahre, ist von Tabletten und Alkohol abhängig. Sie war als Kind ruhig, zurückhaltend, in der Schule nicht besonders aufgefallen. Sie kommt aus einem wohlhabenden Elternhaus.Die Eltern waren überzeugt, das Beste für Beatrice getan zu haben. Sie galt als schüchtern, introvertiert, ging nur vorsichtig auf fremde Menschen und neue Situationen zu. Man verglich sie viel mit ihrer jüngeren Schwester, die das genaue Gegenteil darstellte: neugierig-forschend, frech, lebenslustig.
    Beatrices Probleme zeigten sich schon früh. Im Kindergarten und in der Grundschule nahm sie sich zurück. Sie fremdelte in jeder Situation. Um sich einigermaßen zu behaupten, sich zu stabilisieren, bekam Beatrice auf Anweisung der Mutter Beruhigungstees, die oberflächlich halfen. Und Beatrice hatte an ihrer Mutter bemerkt: Auch sie nahm bei Stress Kopfschmerztabletten. Dieses Muster wurde für Beatrice mit Beginn der Pubertät bedeutsam. Sie erzählt: «Ich merkte, mit Tabletten ging es besser. Ich hatte dann keine Angst mehr. Mir ging’s gut, wenn ich das Zeug nahm. Alles war dann leichter. So mit 14 oder 15, durch Zufall, habe ich ’ne Tablette genommen und Bier getrunken. Zuerst einen Schluck. Und eine Katastrophe war mit einem Mal weg, alles war wie vergessen.»
    Als Beatrices Eltern davon erfahren, «bricht eine Welt zusammen», wie sie sagen. «Geahnt hatte ich’s schon vorher, aber ich wollte es nicht wahrhaben», sagt die Mutter. Und sie fährt fort: «Dabei hatten wir alles für unsere Tochter getan. Sie war unser Sorgenkind. Wir haben uns um alles gekümmert. Sie brauchte nichts zu machen. Sie war so zerbrechlich. Sie hatte Ballett, Klavierunterricht, nichts zog sie wirklich durch. Wir haben nur die besten Lehrer für sie ausgesucht. Mit keinem kam sie aus. Zufrieden war sie nur, wenn man sie in Ruhe ließ.»
    Beatrice deutet die Situation so: «Das ging mir allmählich auf den Zeiger. Alles wurde für mich gemacht. Jedes Problem gelöst. Ich fühlte mich eingesperrt. Aber wenn ich das Zeug nahm, ging’s mir gut! Dann war ich irgendwie frei, ich konnte träumen – das waren richtige Reisen. Dann war ich ganz selbständig!»
    «Aber», so fragen die Eltern, «was hätten wir anders machensollen?» Eine plausible, alles erklärende Antwort kann man nicht geben, obwohl bei Beatrice einige Risikofaktoren deutlich werden:
Bei Drogendiskussionen wird die «stille» Abhängigkeit von Medikamenten, wird die «auffällige Unauffälligkeit» übersehen. Das Öffentliche des illegalen Drogenkonsums steht dagegen im Vordergrund.
Das elterliche Vorbild, hier insbesondere das mütterliche Vorbild, z.   B. der eigene Umgang mit Tabletten, hat ganz entscheidende Bedeutung. Medikamente werden als Allzweckware angesehen und eingesetzt. Beatrice nimmt die Tabletten zunächst nur als Stimulus, später verstärkt sie die Tabletten durch den Alkoholgenuss.
Beatrice erlernt kein Konfliktmanagement. Konflikte werden vielmehr unter den Teppich gekehrt. Zuneigung und Liebe sind an das Erbringen von Leistung gekoppelt. So baut Beatrice kein Urvertrauen zu sich und ihren Eltern auf. Und sie lernt: Konflikte löst man nicht durch Auseinandersetzung, sondern durch Einnahme von Medikamenten.
Die Eltern nehmen zwar Anzeichen wahr, suchen aber nicht den Kontakt zu einer Beratungsstelle. Sie sind voller Selbstvorwürfe.

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