Pubertät – Loslassen und Haltgeben
Schleimer, aber das hat man schnell raus. Die erkennst du schnell, die vorne so rum und hinten so rum reden. Da muss man dann schon vorsichtig sein. Zu den Schleimern kriegst du auch keinen Draht, weil die so scheißfreundlich sind, dass du bald selbst in deren Scheiße sitzt.»
«Für mich ist das Schlimmste», ereifert sich Anne, «dass die Lehrer sich untereinander nicht mögen: Die können sich doch nicht riechen, weil sie sich spinnefeind sind. Und von uns wollen sie dann, dass wir nett und freundlich miteinander umgehen. Dabei würden die sich doch selbst manchmal glatt an die Gurgel gehen! Die machen sich gegenseitig fertig! Das sind doch die reinsten Selbstmordattentäter mit ihrem Sprengstoff aus Worten und Blicken!»
«Nur ist der Sprengstoff noch nicht hochgegangen», grinst Jonathan. «Also, es gibt unter den Lehrern doch arme Schweine: die Kunst unterrichten, Musik, Religion, Sport. Deutsch vielleicht auch noch. Die kriegen doch ständig die Stunden am späten Vormittag, am Nachmittag oder nur dann, wenn wir abgeschlafft sind. Wenn’s brennt, Zoff gibt in der Klasse, in der Schule, dann sind sie mit dem Notfallkoffer da, aber die Lehrer, die alles verursachen, sind fein raus, denken ans Golfspiel oder an ihre Geliebte. Unser Mathelehrer, typisch, kein Verständnis für uns, nur Formeln im Kopf, macht seit Jahren den gleichen Unterricht mit den gleichen Folien und hat noch nicht mal die Rechtschreibfehler von vor zehn Jahren berichtigt. Der hat von Kindern keine Ahnung, aber auch wirklich keine Ahnung! Wenn wir uns bei ihm beklagen, meint der nur, wir hätten doch nachher Musik, und sein Kollege hätte doch bestimmt meditative Musik und ein Ohr für uns …» Er atmet tief aus. «Also, unser Biolehrer! An der Uni haben sie ihm seine Stelle gestrichen, nunwird er auf Kinder losgelassen. Der zieht seinen Unterricht einfach durch. Wenn wir Fragen haben, verweist er uns süffisant aufs Internet, weil wir doch alle computersüchtig seien. Für das Seelische, da wäre doch der Religionslehrer zuständig, er wäre für die Fakten des Lebens da. Nach dem Unterricht steigt er in seinen Jaguar, fährt golfen, weil er es mit uns Idioten nicht aushalten könne, hat er mal gesagt! Und wenn’s bei uns ’ne Fortbildung für Lehrer gibt, ist er krank oder bei seinen 18 Löchern. Bei solchen Typen krieg ich ’ne Krise: große Klappe, nichts dahinter.»
«Der sollte», lächelt Theo sarkastisch, «lieber an die Ostsee, dort den Strand glattharken, dann würde der weniger Schaden anrichten!»
Gewalt und Aggressionen an Schulen haben – wie auch im übrigen Alltag – viele Gesichter. Die lauten und die leisen, die grellen und die blassen, die ins Auge fallenden wie die übersehenen, die unüberhörten wie die überhörten. Dabei gilt: Es ist nicht die Zeit, zu dramatisieren – ganz nach dem Motto: «Gewalt an und in Schulen nimmt unerträgliche Formen an!» Spektakuläre Einzelfälle sollten den Blick auf jene schulische Normalität, in der Lehrer, Schüler und Eltern versuchen, ein soziales Miteinander zu leben, nicht verstellen. Doch es ist zugleich nicht der Moment, zerstörerische Gewalt mit dem Satz herunterzuspielen, wonach es diese schon immer gegeben hat.
Wer offenkundige und destruktive Brutalität leugnet, sie verkennt, übersieht oder wer nachgiebig ist, der begünstigt zerstörerische Aggressionen seitens der Schüler und Schülerinnen. Leugnen und Wegschauen sind eine wichtige Rahmenbedingung dafür, warum an einigen Schulen destruktive Aggressionen auftreten. Ich beobachte das immer, wenn eine Schule im wahrsten Sinne des Wortes «brennt» und mir dann gesagt wird, das alles käme aus «heiterem Himmel». Aus «heiterem Himmel» kommenAggressionen nicht, man hat die Gewitterwolken am Horizont übersehen. Aggressionen haben in der Regel eine Karriere, eine lange Vorlaufphase, hinter sich.
Wer Gewalt und Brutalität ignoriert, schafft Raum, damit sie sich dort ungehemmt entfalten können. Nicht um ein «Es war schon immer so» geht es mithin, sondern darum, jene Qualitäten zu erkennen, die anders sind, als sich Gewalt und Brutalität noch vor 30 oder 50 Jahren dargestellt haben.
Unverkennbar ist, dass die gewaltbereite Minderheit größer geworden ist. Lag sie vor drei Jahrzehnten noch bei 2 Prozent aller Jugendlichen, so sind es – nach neuen Berechnungen – nun etwa 7 Prozent. War die zerstörerische Gewalt einst Jungengewalt, so machen nun schon 12- bis 1 4-jährige Mädchen
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