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Pubertät – Loslassen und Haltgeben

Pubertät – Loslassen und Haltgeben

Titel: Pubertät – Loslassen und Haltgeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Rogge
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eigenenRegeln, Rituale und Stile, in denen sich die unterschiedlichsten Schamgrenzen zeigen – sei es in der Einstellung zur Nacktheit, in der Bereitschaft, über Sexualität zu reden, Sexualität anzusprechen, Sexualität umgangssprachlich oder sachbezogen neutral zu diskutieren.
    Wenn Schamgefühle angeboren sind, so gründete dies auf alltäglichen Beobachtungen: Heranwachsende entwickeln im Lauf ihrer Biographie ganz bestimmte Eigenheiten, sich im Zusammenhang mit Sexualität und Körperlichkeit schämen zu können. In der Scham spiegelt sich zugleich die Einstellung zur Sexualität. Ein zweijähriges Kind zeigt noch ungeniert seinen Penis, präsentiert stolz den Topf, in dem es sein großes Geschäft gemacht hat. Ein Sechsjähriger handelt anders, lässt eben seine Hose an und die Toilettentür zu. Scham hat deshalb nicht nur Nachteile – und so gilt es, in der Schamerziehung die angemessene Mischung zu finden. Kinder und Jugendliche, die keine Schamgrenzen kennen, die sich bloßstellen, respektieren weder sich noch andere in ihrem Anspruch auf körperliche Integrität.
    Kinder, die allerdings in sehr engen Schamgrenzen erzogen werden, die sich bei noch so verständlichen Grenzüberschreitungen ständig «etwas schämen» müssen, wirken häufig angepasst, werden zu grauen, unselbständigen Mäusen, die sich oft nach anderen richten, was die wohl sagen würden.
    Es kommt in der Schamerziehung also auf die Balance an. Man muss die «richtige» Mischung finden: Ein Zuviel an Schamgefühl behindert, engt ein, zu wenig Schamgefühl stellt bloß, birgt das Risiko in sich, gedemütigt zu werden.
     
    Ist Schamgefühl genetisch angelegt?
    Jeder Mensch hat eine genetische Disposition, Scham zu empfinden. Manche senken die Augen, andere brechen den Blickkontakt ab, manche schlagen reflexartig die Hände vors Gesicht, andere erröten oder erblassen. Die genetische Disposition stellt sich vonKind zu Kind, von Jugendlichem zu Jugendlichem anders dar. Sie ist abhängig vom Temperament eines Heranwachsenden; Introvertierte Charaktere unterscheiden sich im Schamgefühl von extrovertierten Temperamenten. Die genetische Disposition wird allerdings durch die unterschiedlichsten familiären Erziehungsstile beeinflusst. Denn jede Familie entwickelt ihre ganz spezifischen Muster, mit Scham und Schamgefühl umzugehen.
    Unabhängig davon bildet sich das Schamgefühl entlang der individuellen Biographie heraus, entwickelt es sich nach einem ganz bestimmten inneren Muster. Man kann es so ausdrücken: Mit jedem Reifeschritt, den ein Kind vollzieht, verändern sich die Gefühle von Scham. Denn Reife ist verbunden mit einer Veränderung des Körpers. Gerade in Übergangsphasen der Entwicklung, zum Beispiel beim Schulanfang (zwischen dem fünften und siebten Lebensjahr) oder der Vorpubertät (zwischen dem zehnten und dreizehnten Lebensjahr), kommt es zu gravierenden Veränderungen im Schamgefühl.
    Denn Kinder und Jugendliche nehmen sich und ihren Körper anders, meist nicht als schön wahr. Sie finden sich hässlich, zu dick, fürchterlich. Deshalb hat Schamerziehung nicht nur etwas mit Sexualität, damit zu tun, sich nackt zu zeigen, Schamerziehung ist immer auch zugleich eine körperliche und soziale Erziehung. Über Scham definiert man – ob nun sprachlich oder ohne Worte   – Grenzen: Man lässt etwas zu, zeigt aber zugleich: bis hierher und nicht weiter.
    Das passiert von dem Tag an, wo das Kind in die Welt kommt.
     
    Entwicklung des Schamgefühls
    Schon Babys setzen – nonverbal – Grenzen. Wenn man ihnen zu nahe kommt, sie genug vom Streicheln oder Schmusen haben, sie der Zärtlichkeiten überdrüssig sind, verändert sich ihr Gesichtsausdruck. Sie verziehen die Augen oder den Mund, siewirken ernst, verschlossen, sie quengeln. Zudem machen sie sich schwer, der Körper versteift sich, so als wolle das Kind ein «Lasst mich mal in Ruhe!» signalisieren.
    Zwischen dem fünften und neunten Monat beginnen die Säuglinge zu fremdeln. Sie können nun zwischen vertrauten und nicht vertrauten Personen unterscheiden. Auf vertraute Personen krabbeln sie zu, von ihnen lassen sie sich gerne anfassen, genießen die Verwöhnung; bei ihnen unbekannten Personen «fremdeln» sie: Ihr Blick wird undurchdringlich, sie krabbeln ein paar Schritte zurück und beobachten aus einem gewissen Sicherheitsabstand heraus, ob sie zu diesem Menschen Kontakt aufnehmen wollen – oder nicht. Wichtig ist: Das Kind bestimmt das Tempo der Annäherung – nicht

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