Pubertät – Loslassen und Haltgeben
hoffe, dass irgendwann bei ihm der Groschen fällt!»
«Wie lange diskutieren Sie schon?»
«Nicht diskutieren: reden, Herr Rogge, reden, überzeugen, reden, überzeugen», verbessert mich Christian und hebt den Zeigefinger, «mein Vater ist Vollzeitpädagoge, morgens in der Schule ist er Lehrer, nachmittags macht er es bei meiner Mutter, und abends bin ich dran!»
«Deine Mutter?»
«Er will sie auch von den zehn Stunden überzeugen, aber irgendwann setzt sie ihre Kopfhörer auf.» Christian stockt. «Und wenn sie dann nichts mehr hört, bin ich dran!»
«Und wie lange reden Sie?» Ich schaue den Vater an.
«Na, so bis elf, dann schleicht sich Christian entnervt von dannen. Ohne Einsicht!»
«Um elf? Jeden Tag?»
Christian nickt breit grinsend. «Herr Rogge, und so schlaf ich jeden Tag nur acht Stunden!»
Heranwachsende wissen zu unterscheiden, ob man sie manipulieren will oder ob man ihnen Zeit lässt, sich mit den Überzeugungen ihrer Eltern auseinanderzusetzen. Hin und wieder sind sie auch für klare Anweisungen dankbar, wenn ihnen nicht der Wille gebrochen wird oder Befehle aufgezwungen werden.
Besonders empfindlich reagieren Heranwachsende freilich darauf, wenn Fragen bereits klare Festlegungen enthalten. Dann ist ein Machtkampf die logische Folge. Viele Eltern konfrontieren ihre pubertierenden Kinder mit rhetorischen Fragen, wenn sie die entsprechenden Entscheidungen längst gefällt haben, etwa: «Wollen wir nicht mal wieder Oma besuchen?» Oder: «Wollen wir nicht mal wieder eine Wanderung machen?» Dann bleibt den Heranwachsenden ein angepasst-unterwürfiges «Ja!», ein gleichgültiges «Meinetwegen!» oder der offene Widerstand.
Die Mutter von Franz wandte sich an mich, weil sie nicht mehr weiterwisse. Jeden Morgen gebe es heftigen Streit zwischen ihr und ihrem Sohn. Er ließe sie jeden Morgen auflaufen. Sie bittet um eine Beratung. Aber zum verabredeten Zeitpunkt kam nicht sie – sondern der zwölf Jahre alte Junge. Wuschelhaar, große braune Augen, höflich-zurückhaltend, aber selbstbewusst im Auftreten. Als ich ihn nach seiner Mutter frage, meint er lächelnd: «Die hat mich hier abgesetzt, ist dann weggefahren. Sie meint, ich sei das Problem!»
«Was für ein Problem?»
«Na ja, das mit dem Streit am Morgen. Hat Ihnen das meine Mutter nicht erzählt?»
«Doch. Aber weshalb, meinst du, sollen wir uns unterhalten?»
«Weil ich meine Mutter jeden Morgen hochgehen lasse wie eine Rakete!»
Ich nicke: «Hat deine Mutter gesagt!» Doch bevor ich weiterreden kann, meint Franz:
«Aber es muss sein, Herr Rogge, es muss sein!»
Ich muss lachen. «Verstehe ich nicht, Franz! Ich will morgens auch meine Ruhe haben, keinen Stress!»
«Ich auch!»
«Aber was ist denn der Grund für deinen morgendlichen Theaterauftritt?»
«Auftritt ist gut», lacht er. «Starker Auftritt. Da müssten Sie mal Mäuschen spielen!»
«Deine Mutter macht sich große Gedanken!»
«Viel zu viele. Die will die beste Mutter sein!»
Ich zucke mit den Schultern.
«Sie kennen sie nicht», klärt Franz mich auf. «Sie will die beste Mutter sein, aber sie ist ein Morgenmuffel. Sie steht nur auf, um mir das Frühstück zu machen, damit ihr keiner sagen kann, sie wäre eine schlechte Mutter. Aber ich bin morgens schon gut drauf. Ich lache, ich pfeife. Aber Sie müssen meine Mutter mal sehen. Hexe hoch drei. Der absolute Morgenvampir!» Er redet sich ein bisschen in Rage. «Ich habe ihr schon tausendmal gesagt, sie braucht mir kein Frühstück zu machen. Aber sie macht es.» Er stockt kurz: «Dann komme ich in die Küche, lächelnd, fröhlich pfeifend, sage freundlich: Guten Morgen!»
Er ahmt seine Mutter ärgerlich nach, spitze Lippen, schmale Augen: «Morgen!»
«Ich sag dann ganz ruhig: ‹Hast du was?›»
«Nein!», schreit er förmlich hinaus, seine Mutter imitierend. Er lacht mich an: «Dann geb ich ihr noch eine Chance!»
«Und wie sieht die aus?»
«Ich frage: ‹Hast du wirklich nichts?›»
«Nein!», faucht sie.
«Tja», sagt er weise lächelnd, «da nerv ich drei Minuten, nörgele über den kalten Kakao oder die zu süße Marmelade. Dann fängt sie an zu kochen.» Er strahlt. «Und dann platzt sie, und ich denk, siehst du, Franz, hast du wieder recht gehabt: Sie ist heute schlecht drauf!»
«Du kannst ja richtig fies sein!»
«Nein, nicht fies, Herr Rogge, aber warum müssen es uns die Eltern so schwermachen? Wenn ich frag: ‹Hast du was?›, braucht Mama doch nur kurz zu antworten: ‹Mir
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