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Pünktchen und Anton

Pünktchen und Anton

Titel: Pünktchen und Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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Armut ist! Sie dachte, wenn zufällig nicht genug Brot da ist, ißt man eben Kuchen. Sie kannte das Volk nicht, sie kannte die Armut nicht, und nicht lange darnach wurde sie geköpft. Das hatte sie davon.
    Glaubt ihr nicht auch, daß die Armut leichter abgeschafft werden könnte, wenn die Reichen schon als Kinder wüßten, wie schlimm es ist, arm zu sein? Glaubt ihr nicht, daß sich dann die reichen Kinder sagten: Wenn wir mal groß sind und die Banken und Rittergüter und Fabriken unserer Väter besitzen, dann sollen es die Arbeiter besser haben! Die Arbeiter, das wären ja dann ihre Spielkameraden aus der Kindheit . . .
    Glaubt ihr, daß das möglich wäre?
    Wollt ihr helfen, daß es so wird?

Siebentes Kapitel - FRÄULEIN ANDACHT HAT EINEN SCHWIPS
    In dem Lokal standen und saßen manchmal seltsame Leute, und Pünktchen kam sehr gern her, sie fand es hochinteressant. Manchmal waren sogar Betrunkene da!
    Anton gähnte und machte vor Müdigkeit ganz kleine Augen. »Schrecklich«, sage er, »heute bin ich in der Rechenstunde richtiggehend eingeschlafen. Herr Bremser hat mich angeniest, daß ich fast aus der Bank gefallen wäre. Ich sollte mich schämen, hat er gerufen, und meine Schularbeiten ließen in der letzten Zeit sehr zu wünschen übrig. Und wenn das so weiterginge, würde er meiner Mutter einen Brief schreiben.«
    »Ach, du gerechter Strohsack«, meinte Pünktchen.
    »Das fehlte gerade noch. Weiß er denn nicht, daß deine Mutter krank ist und daß du kochen und Geld verdienen mußt?«
    »Woher soll er denn das wissen?« fragte Anton neugierig.
    »Von dir natürlich«, erklärte Pünktchen.
    »Lieber beiß ich mir die Zunge ab«, sagte Anton.
    Pünktchen verstand das nicht. Sie zuckte die Achseln. Dann wandte sie sich zu Fräulein Andacht. Die saß in ihrer Ecke und stierte vor sich hin. »Ich denke, Sie haben uns eingeladen?«
    Fräulein Andacht zuckte zusammen und kam langsam zu sich. »Was wollt ihr haben?«
    »Apfelsinen mit Schlagsahne«, schlug Pünktchen vor, und Anton nickte. Das Fräulein stand auf und ging zum Büfett.
    »Wo hast du denn das Geld her, das du mir vorhin zugesteckt hast?« fragte der Junge.
    »Die Andacht gibt das Geld doch nur ihrem Bräutigam. Da habe ich 'n bißchen was unterschlagen. Pscht, keine Widerrede!« rief sie streng. »Paß auf, sie trinkt bestimmt wieder Schnaps. Sie säuft, die Gute. Du, heute saß sie in ihrem Zimmer und zeichnete mit dem Bleistift Vierecke, und in dem einen stand >Wohnzimmer< und im anderen >Arbeitszimmer<, mehr konnte ich nicht sehen.«
    »Das war ein Wohnungsplan«, stellte Anton fest.
    Pünktchen schlug sich mit der Hand vor die Stirn.
    »Ich Affe«, sagte sie, »und darauf bin ich nicht gekommen! Aber wozu zeichnet sie Wohnungspläne?«
    Das wußte Anton auch nicht. Dann kam Fräulein Andacht zurück und brachte den Kindern zerteilte Apfelsinen. Sie selber trank Kognak. »Wir müssen doch mindestens drei Mark verdient haben«, erklärte sie.
    »Und dabei liegen nur eine Mark achtzig in der Tasche. Verstehst du das?«
    »Vielleicht hat die Tasche ein Loch?« fragte Pünktchen.
    Fräulein Andacht sah gleich nach. »Nein«, sagte sie, »die Tasche hat kein Loch.«
    »Komisch«, meinte Pünktchen. »Man könnte fast denken, da hat jemand geklaut.« Dann seufzte sie und murmelte: »Das sind Zeiten.«
    Fräulein Andacht schwieg, trank ihr Glas leer, stand auf und holte sich noch einen Schnaps. »Erst stehen wir stundenlang auf der Brücke, und dann versäuft sie das ganze Einkommen«, schimpfte Pünktchen hinter ihr her.
    »Du solltest überhaupt lieber zu Hause bleiben«, erklärte Anton. »Wenn deine Eltern mal dahinterkommen, gibt's großen Krach.«
    »Von mir aus«, sagte Pünktchen. »Habe ich mir vielleicht das Kinderfräulein ausgesucht?«
    Anton nahm eine Papierserviette, die auf dem Nebentisch lag, drehte eine kleine Tüte und legte sechs Apfelsinenschnitten hinein. Dann schloß er die Tüte in sein Handköfferchen. Und wie ihn Pünktchen fragend anschaute, sagte er verlegen: »Bloß für meine Mutter.«
    »Da fällt mir noch etwas ein«, rief sie und kramte in ihrer kleinen Tasche. »Hier!« Sie hielt etwas in der Hand.
    Er beugte sich darüber. »Ein Zahn«, bemerkte er.
    »Ist er denn 'raus?«
    »So eine dämliche Frage«, sagte sie beleidigt.
    »Willst du ihn haben?«
    Der Junge hatte kein rechtes Verständnis für Zähne, und so steckte sie ihn wieder ein. Dann kam Fräulein Andacht, hatte einen mittelgroßen Schwips und trieb zum

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