Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pünktchen und Anton

Pünktchen und Anton

Titel: Pünktchen und Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
Vom Netzwerk:
schenken das ganze Geld Ihrem Bräutigam?« fragte sie.
    »Da kann der aber lachen.«
    »Halte den Mund«, befahl die Frau.
    »Na ja, ist doch wahr!« erwiderte Pünktchen.
    »Wozu stehen wir denn sonst Abend für Abend hier und halten Maulaffen feil?«
    »Kein Wort mehr!« murmelte die Frau böse.
    »Streichhölzer, kaufen Sie Streichhölzer, meine Herrschaften!« jammerte Pünktchen wieder, denn es kamen Leute vorbei. »Wir sollten lieber dem Anton was abgeben. Er hat doch bis zum Sonnabend die faule Seite.« Plötzlich quiekte sie, als hätte sie jemand getreten. »Da kommt der Klepperbein, der Lausejunge.«
    Anton stand auf der anderen Seite der Brücke, auf der faulen Seite, wo wenig Menschen vorübergingen.
    Er hielt einen kleinen aufgeklappten Handkoffer vor sich und sagte, wenn jemand vorbeikam: »Braune oder schwarze Schnürsenkel für Halbschuhe gefällig? Streichhölzer kann man immer brauchen, bitte schön.«
    Er hatte kein kaufmännisches Talent. Er verstand es nicht, den Leuten vorzujammern, obwohl ihm das Heulen näher war als das Lachen. Er hatte dem Hauswirt versprochen, übermorgen fünf Mark Miete abzuzahlen, das Wirtschaftsgeld war auch schon wieder zu Ende.
    Er mußte morgen Margarine besorgen, sogar ein Viertelpfund Leberwurst plante er.
    »Du gehörst ja auch eher ins Bett als hierher«, sagte ein Herr.
    Anton sah ihn groß an. »Das Betteln macht mir aber solchen Spaß«, murmelte er.
    Der Mann schämte sich ein bißchen. »Na ja, schon gut«, meinte er. »Sei nur nicht gleich böse.« Und dann gab er ihm ein Geldstück, Es waren fünfzig Pfennig!

    »Ich danke Ihnen sehr«, sagte Anton und hielt ihm zwei Paar Schnürsenkel hin.

    »Ich trage Zugstiefel«, erklärte der Herr, zog den Hut vor dem Jungen und ging eilig weiter.
    Anton freute sich und blickte über die Brücke zu seiner Freundin. Hallo, war das nicht Klepperbein?
    Er schlug sein Köfferchen zu und rannte über die Straße. Gottfried Klepperbein hatte sich vor Pünktchen und Fräulein Andacht postiert und musterte sie frech.
    Pünktchen streckte dem Portierjungen zwar die Zunge 'raus, doch das Kinderfräulein zitterte vor Aufregung.
    Anton gab dem Klepperbein einen Tritt in den Allerwertesten. Der Junge fuhr wütend herum, als er aber den Anton Gast dastehen sah, erinnerte er sich der Ohrfeigen vom Nachmittag und verschwand im Dauerlauf.
    »Den wären wir los«, sagte Pünktchen und reichte Anton die Hand.
    »Kommt!« meinte Fräulein Andacht. »Kommt, wir gehen ins Automatenrestaurant. Ich lade Anton ein.«
    »Bravo!« sagte Pünktchen, faßte den Jungen bei der Hand und lief mit ihm voraus. Fräulein Andacht rief das Mädchen zurück. »Willst du mich wohl führen? Was sollen denn die Leute denken, wenn ich trotz meiner Brille drauflosrenne?« Pünktchen faßte also das Kinderfräulein an der Hand und zog sie hinter sich her, die Brücke hinunter, die Friedrichstraße entlang, dem Oranienburger Tor zu. »Wieviel hast du verdient?« fragte sie.
    »Fünfundneunzig Pfennig«, sagte der Junge betrübt. »Ein Herr gab mir fünfzig Pfennig, sonst könnte ich überhaupt einpacken.«
    Pünktchen drückte ihm etwas in die Hand. »Steck ein!« flüsterte sie geheimnisvoll.
    »Was ist los?« fragte Fräulein Andacht mißtrauisch.
    »Sie alte Neugierde!« sagte Pünktchen. »Ich frage Sie doch auch nicht, was das für komische Zeichnungen sind, die Sie machen.«
    Da schwieg Fräulein Andacht, als hätte es geblitzt.
    Die Straße war ziemlich leer. Das Kinderfräulein nahm die dunkle Brille ab und ließ Pünktchens Hand los. Sie bogen ein paarmal um die Ecke. Dann waren sie am Ziel.

    Die sechste Nachdenkerei handelt: VON DER ARMUT

    Vor ungefähr hundertfünfzig Jahren zogen einmal die Ärmsten der Pariser Bevölkerung nach Versailles, wo der französische König und seine Frau wohnten. Es war ein Demonstrationszug, ihr wißt ja, was das ist.
    Die armen Leute stellten sich vor dem Schloß auf und riefen: »Wir haben kein Brot! Wir haben kein Brot!«
    So schlecht ging es ihnen.
    Die Königin Marie Antoinette stand am Fenster und fragte einen hohen Offizier: »Was wollen die Leute?«
    »Majestät«, antwortete der Offizier, »sie wollen Brot, sie haben zu wenig Brot, sie haben zu großen Hunger.«
    Die Königin schüttelte verwundert den Kopf. »Sie haben nicht genug Brot?« fragte sie. »Dann sollen sie doch Kuchen essen!«
    Ihr denkt vielleicht, sie sagte das, um sich über die  armen Leute lustig zu machen. Nein, sie wußte nicht, was

Weitere Kostenlose Bücher