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Pünktchen und Anton

Pünktchen und Anton

Titel: Pünktchen und Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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Frau nichts zu hören schien und nur immer den Kopf nach allen Seiten drehte, nahm Pünktchen Antons Mutter bei der Hand und zog sie zu dem Milchgeschäft im Nebenhaus. Ihren Dackel setzte sie auf die Straße und sagte: »Guter Hund, such den Anton!«
    Aber Piefke verstand wieder mal kein Deutsch.
    Inzwischen kaufte Anton Schokolade.
    Die Verkäuferin war eine alte Dame mit einem riesigen Kropf. Sie sah ihn mißtrauisch an, als er mit todtrauriger Miene eine Tafel von der besten Milchschokolade verlangte.
    »Es ist für einen Geburtstag«, sagte er niedergeschlagen.
    Da wurde sie etwas freundlicher, wickelte die Schokolade schön geschenkmäßig in Seidenpapier und band ein blaßblaues Seidenband drum. »Danke verbindlichst«, sagte er ernst, steckte die Tafel vorsichtig in die Tasche und zahlte. Sie gab ihm Geld heraus, und nun ging er in ein Schreibwarengeschäft.
    In dem Schreibwarengeschäft suchte er sich aus dem 1Geburtstagsalbum eine Gratulationskarte aus. Die Karte, die er wählte, war wundervoll. Einen dicken, fidel schmunzelnden Dienstmann sah man darauf, und der Dienstmann hielt in jedem Arm einen großen Blumentopf. Zu seinen Füßen stand in goldnen Buchstaben: »Die herzlichsten Glückund Segenswünsche zum Wiegenfeste.«
    Anton betrachtete das schöne Bild wehmütig. Dann stellte er sich hinter das Schreibpult und malte mit mühevoller Schönschrift auf die Rückseite: »Von Deinem tiefunglücklichen Sohne Anton. Und nimm es mir nicht übel, liebe Mama, es war nicht böse gemeint.«
    Dann klemmte er die Karte unter die blaue Schleife, die das Schokoladenpäckchen zierte, und lief schnell auf die Straße. Jetzt überkam ihn große Rührung, seines traurigen Schicksals wegen. Er fürchtete sich vor Tränen, schluckte tapfer und ging mit gesenktem Kopf weiter.
    Im Haus überfiel ihn heftige Angst. Wie ein Indianer auf dem Kriegspfad schlich er sich zum vierten Stock hinauf. Er stieg auf den Zehenspitzen bis zur Tür. Er öffnete die Klappe des Briefkastens und warf sein Geschenk hindurch. Das machte Lärm, und er bekam Herzklopfen.
    Doch in der Wohnung rührte sich nichts.
    Eigentlich hätte er ja nun fortlaufen und irgendwo ganz rasch sterben müssen. Aber er brachte das nicht ohne weiteres fertig, sondern drückte zaghaft auf die Klingel. Dann rannte er bis zum nächsten Treppenabsatz hinunter. Dort wartete er atemlos. In der Wohnung rührte sich nichts.
    Da wagte er sich noch einmal bis vor die Tür. Und wieder klingelte er. Und wieder rannte er die Stufen hinunter.
    Und wieder war nichts zu hören! Was war denn mit seiner Mutter los? War ihr etwas zugestoßen? War sie wieder krank geworden, weil sie sich so sehr über ihn hatte ärgern müssen? Lag sie im Bett und konnte sich nicht rühren? Er hatte die Schlüssel nicht eingesteckt. Vielleicht hatte sie den Gashahn aufgedreht, um sich vor Kummer zu vergiften? Er stürzte zur Tür hinauf und schlug an den Briefkasten, daß es laut klapperte. Er hieb mit beiden Fäusten gegen die Türfüllung. Er rief durchs Schlüsselloch: »Mama! Mama!
    Ich bin's! Mach mir doch auf!«
    In der Wohnung regte sich nichts.
    Da sank er schluchzend auf der Strohdecke in die Knie. Nun war alles aus.
    Antons Mutter und Pünktchen hatten in allen Geschäften, wo man Anton kannte, gefragt. Der Milchmann, der Bäcker, der Fleischer, der Grünwarenhändler, der Schuster, der Installateur, keiner wußte etwas.
    Pünktchen lief zu dem Schutzmann, der an der Verkehrskreuzung stand, und fragte den. Aber der Schutz-1mann schüttelte bloß den Kopf und fuhr fort, mit beiden Armen den Fahrzeugen zu winken. Piefke ärgerte sich über das Winken und quiekte. Frau Gast wartete inzwischen auf dem Fußsteig und blickte mit ängstlichen, eilig irrenden Augen um sich.
    »Nichts«, sagte Pünktchen. »Wissen Sie was? Das beste wird sein, wir gehen nach Hause.«
    Aber Frau Gast rührte sich nicht.
    »Vielleicht ist er im Keller«, sagte das Kind.
    »Im Keller?« fragte Antons Mutter.
    »Ja, oder auf dem Boden«, schlug Pünktchen vor.
    Und sie liefen, so rasch sie konnten, über die Straße und ins Haus. Gerade, als Frau Gast die Kellertür aufschließen wollte, hörten sie, daß oben jemand weinte.
    »Das ist er!« rief Pünktchen. Antons Mutter lachte und weinte in einem Atem und lief die Treppen so schnell hinauf, daß Pünktchen kaum mitkommen konnte. »Anton!« rief die Mutter.
    Und von oben klang es: »Mama! Mama!« Und dann begann von oben und unten her ein großes Wettrennen. Pünktchen

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