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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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Weed Blues« sind alles, was von ihm übrig geblieben ist, was auch immer er war. Ein meisterlicher Könner ganz sicher. Mattie May Thomas' bestürzender »Workhouse Blues« ist a cappella in der Nähstube eines Frauengefängnisses aufgenommen worden:
     
    »A wrassle with the hounds, black man,
    Hounds of hell all day.
    I squeeze them so tight,
    Until they fade away.«
     
    Eine der Aufnahmen auf Pre-War Revenants wurde – und das ist in Sachen obskurantistischer Glaubwürdigkeit sicherlich ein Pluspunkt der Sammlung – auf einem Flohmarkt in Nashville von genau demjenigen entdeckt, der die Compilation abgemischt hat: Chris King, der auch den Eingang der verstärkten, von Spax-Schrauben zusammengehaltenen Holzkisten quittiert, die Autounfällen trotzen und in denen die meisten der 78er für Projekte wie dieses ankommen. Die Sammler vertrauen King; er ist selbst einer der großen Sammler (und besitzt zufälligerweise das zweitbeste der drei bekannten erhaltenen Exemplare von »Last Kind Words Blues«) und anerkannter Fachmann, wenn es darum geht, den kaputten Rillen von Schellackplatten aus Vorkriegszeiten akustische Informationen abzuluchsen. Ihn rief ich an, weil ich genauer wissen wollte, wie dieses Projekt letztendlich doch noch zustande gekommen war. Wie Fahey hat auch King einen Uni-Abschluss, in den Fächern Religion und Philosophie; er weiß sich über das, was er tut, ausgedehnt schwärmerisch zu verbreiten. Er beschrieb mir, wie er diese seltene 78er auf dem Trödel in Nashville fand, den »Old Hen Cackle« der Two Poor Boys, oben auf einem Stapel von 45er-Singles, die auf einem Tisch in der prallen Sonne lagen. Die Platte war braun. In der Hitze hatte sie sich, wie er sich ausdrückte, »zur Suppenschüssel verbogen«. Auf dem Grund der Schüssel konnte er das Wort »Perfect« lesen, den Namen eines kurzlebigen Hillbilly-Labels. »Braune Perfects« sind wertvoll. Er nahm die Platte mit nach Hause, legte sie draußen – tradierte Sammlerweisheit – zwischen zwei durchsichtige Glasscheiben und presste sie in der Wärme der Sonne und unter dem leichten Druck der Scheiben wieder so flach, dass er sie abspielen konnte.
    Manchmal, erzählte mir King, lässt sich aus der Art, wie der
Klang sich vernutzt hat, einiges über das Vorleben der Platte sagen. Das Schellackexemplar von Geeshie Wileys »Eagles on a Half« (es existiert nur noch dieses eine), mit dem er für Pre-War Revenants arbeitete, hatte, wie er feststellen musste, irgendein improvisierter Abtastgriffel derart »abgegraben« – »Man hat alles benutzt, auch Nähnadeln« –, dass man genau sagen konnte, auf welchem Phonographen die Platte gelaufen und dass der Boden unter dem Phonographen leicht nach rechts vorne abgefallen war. Plötzlich sieht man ein Zimmer vor sich, es wird getanzt, die Dielen schwingen, Menschen lachen. Es ist ein ungehobelter, lüsterner Song: »I said, squat low, papa, let your mama see / I wanna see that old business keeps on worrying me.« King kippte seinen Abspielapparat nach hinten links, traf auf unzerstörte Audiosignale und bekam eine lebendige Version, die wie neu klang.
    Der merkwürdigste Song von allen ist gleichzeitig der älteste, »Poor Mourner« von dem Duo Cousins & DeMoss, hinter dem sich eventuell Sam Cousin und Ed DeMoss verbargen, Ende des 19. Jahrhunderts halbwegs berühmte Minstrelmusiker. Falls ja, dann ist Ersterer der einzige Künstler auf Pre-War Revenants , von dem ein Bild überliefert ist: Eine körnige Fotografie seines kräftigen, quadratischen Gesichts erschien 1889 im Freeman , einer Tageszeitung aus Indianapolis. Das Duo sang »Poor Mourner« 1897 für die Berliner-Firma ein. (Emil Berliner hatte sich gerade erst seine Aufnahmetechnik patentieren lassen; im Unterschied zu zylinderförmigen Tonträgern waren Schallplatten leichter zu vervielfältigen.)
    Zwei Banjos legen furios vor, mit einer Ragtime-Figur, die einem den Eindruck vermittelt, sich auf vertrautem, wenn auch unstetem Boden zu bewegen. Aber irgendwo zwischen dem dritten und vierten Schlag des ersten Taktes hält das zweite Banjo an, als habe es plötzlich ein lahmes Bein, und legt einen Drone auf das erste, das für einen kurzen Moment ganz aussetzt, als sei es vor dem plötzlichen Stimmungswechsel nicht
gewarnt worden. Dann schleifen beide Instrumente gemeinsam nach unten, die Tonart nimmt den Bogen zu Moll, und ohne auch nur im Geringsten benennen zu können, was hier wann passiert ist, findet man sich in einer

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