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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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die Küche zu öffnen, damit das Essen verwendet werden konnte, ehe es verdarb. Boots arbeitet als Koch in einem Restaurant; er heizte den Gasherd an und übernahm das Kommando. Sie kochten für alle, ihre Energie hob die Moral (am nächsten Morgen probierte ich von Meltons Spezialität » S .  O .  S . – Shit on a Shingle«, Hackfleisch mit Soße im Brötchen – und fand es genießbar). »Wir kochen für jeeeeden«, sagte R. J., »nicht nur für unsere kleine Familie hier.«
    »Sogar für die Polizei!«, fügte Melton hinzu.
    Miss Jackie sprang auf und erklärte, ich müsse mir unbedingt die Dusche ansehen, die sie gebaut hatten. Normalerwei
se würde das Rote Kreuz eine Notunterkunft nicht an einem Standort ohne Dusche unterbringen, aber etliche der in Frage kommenden Gebäude waren vom Sturm zerstört worden, also hatten sie Harrison Central nehmen müssen.
    Miss Jackie und R. J. führten mich durch einen Plastikvorhang in den Duschraum. Was sie gebaut hatten, war ziemlich raffiniert. Mit den Schlüsseln der Speisesaalfrau hatten sie eine Metallplatte aus der Wand entfernt, die einen Wasseranschluss abdeckte. Jemand hatte einen Gasbrenner so frisiert, dass man damit drinnen einen Wassertank heizen konnte. Sie hatten die Gegend um die Schule nach Metallrohren abgesucht und eine Leitung improvisiert. Als Duschkopf diente eine dieser seltsamen weißen Dosen, in welche die Anheuser-Busch-Brauerei anscheinend zu Katastrophenzeiten Leitungswasser abfüllt, leer und durchlöchert und mit Klebeband am Rohr befestigt.
    »Dreh auf, Miss Jackie!«, sagte Bill Melton. Sie hatten Jackie die Schlüssel anvertraut. Sie öffnete den Metalldeckel und drehte an einem roten Knopf. Warmes Wasser spritzte aus der Dose, ein Springbrunnen. Im Licht von R. J.s Taschenlampe entstand ein spinnennetzartiges Muster.
    »Das haben wir gemacht!«, sagte Bill Melton.
    »Ist das nicht wunderschön?«, sagte Miss Jackie.
    Mir fehlten die Worte.
    »Es ist wunderschön«, sagte R. J.
     
    Als ich die Unterkunft nach ein paar Tagen verließ und mit meinem Mietwagen nach Jackson zurückfuhr, hatte ich ein Mad Max -mäßiges Erlebnis, über das ich seitdem oft nachgedacht habe. Mir ging der Sprit aus, und die Benzinsituation war miserabel. Vor den wenigen Tankstellen, die noch Benzin hatten, standen die Leute meilenweit Schlange. Laut Anzeige war mein Tank nicht einmal mehr viertelvoll, also fuhr ich ab. Die Straße zur Tankstelle war lang und gerade. Man sah, dass es noch weit war, und ich fragte mich, ob ich überhaupt
noch ausreichend Sprit hatte, um die Wartezeit zu überstehen. Es war verstörend, so etwas in Amerika zu sehen. In sämtlichen Atomkriegsfilmen, die uns als Kinder beschädigt hatten, gab es immer die Szene, in der die Leute für das rar werdende Benzin Schlange standen, oder nicht? Hier standen wir. Bis jetzt schienen alle so ruhig, als wäre es ein normaler Stau. Es war heiß und sonnig, als wir Stoßstange an Stoßstange über den Asphalt glitten, verflochtene Segmente eines langsamen, entschlossenen Insekts.
    Irgendwann traf eine kleinere Straße auf die unsere, den Weg zum Benzin. Ein paar Leute waren unklug genug, zu versuchen, auf dieser Straße an der Schlange vorbeizufahren – sich also im Grunde vorzudrängeln –, und jedes Mal, wenn es jemand versuchte, stieg die Spannung, irgendwer schimpfte durchs Wagenfenster, und derjenige auf der Abbiegespur hob die Hände, als wolle er sagen, was soll ich denn machen. Nichts weiter Schlimmes. Keine Schlägereien. Im Radio lief »Sweet Emotion«.
    An der Kreuzung der beiden Straßen gab es eine Ampel, und während ich sie überquerte, schaltete sie von Grün auf Rot. Und dann geschah etwas Heikles. Eine ältere Frau, die seit einer Stunde direkt hinter mir stand, wollte auch noch in dieser Ampelphase über die Kreuzung kommen. Sie dachte, dass sie es als Letzte noch schaffen würde, aber sie hatte sich verschätzt, und es war kein Platz mehr. Ich war so weit vorgefahren wie möglich, ohne den Truck vor mir zu berühren, aber die hintere Hälfte ihres Wagens stand immer noch auf der Kreuzung. Wäre jemand von der Gegenspur des Highways mit voller Geschwindigkeit in die kleine Straße abgebogen, wäre sie zerquetscht worden. In meinem Rückspiegel sah sie ängstlich aus, also tat ich das einzig Mögliche und schob die Nase meines Wagens Stück für Stück an den Rand des Highways, bis meine Stoßstange vorne rechts das Gras berührte und die Frau anderthalb, zwei Meter

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