Pulphead
Platz hatte, um nachzurutschen und
sich in Sicherheit zu bringen. Es war zwar keine Heldentat meinerseits, aber vor allem war es nicht die Mogelei oder die Hinterhältigkeit, deren mich der drahtige, betrunkene und extrem angepisste Typ aus Mississippi vor meinem Fenster fuchsteufelswild beschuldigte. »Ich hab gesehen, was du gemacht hast, Arschloch«, sagte er. Er war extra aus seinem Auto ausgestiegen und ein ganzes Stück die Straße entlanggelaufen, um mich anzumotzen.
»Was meinen Sie?«, fragte ich. »Ich habe nichts anderes gemacht, als hier stundenlang im Stau zu stehen.«
Er lief neben meinem Auto auf und ab und zeigte auf mich. Die Schlange stand still, er musste sich keine Sorgen um sein eigenes Auto machen.
»In dieser verfickten Schlange stehen Leute, die seit Meilen warten«, sagte er. »Du kannst dich verfickt noch mal nicht einfach vordrängeln.« Er hatte mein kleines Manöver beobachtet, mit dem ich Platz für die alte Dame machen wollte, und nahm nun an, dass er gerade eben mitbekommen hatte, wie ich von der Seitenstraße aus einscherte (was nicht völlig abwegig war).
Wer wusste schon, was dieser Typ in den letzten paar Tagen durchgemacht hatte. Sein Gesicht war stoppelig, sein Flanellhemd starr vor Dreck. Seine rastlosen Bewegungen sahen aus, als stünde er in der Wüste und würde Gott verfluchen.
Die kalten Instinkte, die in solchen Augenblicken übernehmen, befahlen mir, nicht wütend zu werden, sondern immer wieder zu erklären , was passiert war. Ich sagte: »Hör mir zu, Mann! Ich stehe seit Ewigkeiten in dieser Schlange. Lass mich erklären –«
Zunächst brüllte er mich nieder, aber mit jeder Wiederholung der Geschichte – die Ampel, die alte Dame – schien es, als würde ein weiterer Satz seinen Empörungspanzer durchdringen, und er beruhigte sich langsam. Schließlich ging er zurück zu seinem Auto. Zumindest dachte ich das. Tatsächlich
aber lief er zu der alten Dame, um sich ihre Version anzuhören. Ich beobachtete sie im Rückspiegel. Sie schüttelte ihren Kopf und sagte offensichtlich immer wieder das Wort nein , sie sah mein Auto an und sagte nein. War die alte . . .?
Mein Peiniger kam zurück. Die anderen Wartenden sahen und hörten zu. Es war peinlich. »Sie sagt, sie kennt dein Auto nicht«, sagte er.
»Was?« Ich drehte mich um und sah sie mit einem übertriebenen Wie-können-Sie-nur?-Gesicht an. Die Frau sah verängstigt aus.
Der Kerl fluchte weiter. »Geh zurück nach Tennessee!«, rief er. »Da oben gibt's genug Sprit.« Ich lebte nicht mehr in Tennessee. Woher wusste er, dass ich einmal dort gewohnt hatte? Das Nummernschild am Mietwagen hatte ich noch gar nicht bemerkt.
Letztendlich kurbelte ich mein Fenster hoch und drehte die Musik auf, und der Typ schmolz dahin. Es gab keine andere Möglichkeit für uns beide. Mein Benzin reichte bis zur Tankstelle. Aber den ganzen Rest der Wartezeit dachte ich, dass das tatsächliche Ende der Welt genau so beginnen würde. Anstatt nur zu starren, wären die anderen aus ihren Autos gestiegen und hätten sich ihm angeschlossen. Niemand wäre schuld gewesen.
Hey, Mickey!
Wer in diesem jungen Jahrtausend Kinder großzieht, der lernt das Wort »Disney« als Verb zu verwenden. Beispielsweise »Disneyt ihr?«, oder: »Sollen wir dieses Jahr disneyen?« Streng genommen müsste man diese Ausdrücke benutzen, wenn man vom Original-Disneyland in Kalifornien spricht, aber das wäre nicht die übliche Verwendung. Nach Disneyland fährt man und hat dort jede Menge Spaß – wahrscheinlich jedenfalls, ich war noch nie da –, aber man disneyt im Walt Disney World Resort in Florida. Der Begriff impliziert die Kapitulation vor etwas Gewaltigem.
Eines Abends sagte M. J., meine Frau, dass ich mich fürs Disneyen bereitmachen solle. Sie präsentierte das nicht als Frage oder als etwas, über das man lange nachdenken müsste, sondern als etwas Unvermeidliches, auf das man sich gefasst macht. Wir haben alte Freunde, Trevor und Shell (kurz für Michelle), und die beiden haben eine Tochter, die fünfjährige Flora, die nur ein Jahr älter ist als unsere Tochter Mimi. Die Mädchen sind wie Cousinen aufgewachsen und verstehen sich blendend. Shell und Trevor haben auch noch einen jüngeren Sohn, Lil' Dog. Er hat auch einen richtigen, würdevoll klingenden Namen, aber seine Großeltern sind die Einzigen, die ihn jemals so nennen. Schon sein ganzes Leben heißt er Lil' Dog, einfach so. Sein Spitzname hat keine besondere Geschichte. Es
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