Pulphead
zweifle mehr und mehr daran, nicht vor Schuldgefühlen und Sorge um unsere Kinder verrückt machen müssen. Wir sind nicht für sie verantwortlich. Für ihre Erziehung schon, aber nicht für ihre Existenz. Das Schicksal will, dass sie da sind. Es benutzt uns nur, um sie in die Welt zu setzen.
Das Letzte, was passierte, war zugleich das Eigenartigste. Als wir den Park am Abend des abschließenden Tages verließen, fing es monsunartig an zu regnen. Sie müssen mir glauben, wenn ich sage, dass der Regen außergewöhnlich heftig war. Am nächsten Morgen sagte ich zu einem der Pagen im Hotel: »Sie haben hier bestimmt oft so ein Wetter, oder?« – »Nein,
eigentlich nie«, sagte er. Es war, als wäre ein schwarzes Raumschiff herbeigeflogen und hätte die Sonne verdeckt. Heftige Böen fegten vorbei. Direkt über unseren Köpfen entluden sich Blitze. Die Trambahn musste immer wieder anhalten, was es noch beängstigender machte. Als hätte man uns als Opfergabe ins Freie gebracht, als Übungsziele für einen wütenden Sturmgott. Außerdem war es verstörend, die uhrwerkartige Perfektion der Disney-Maschinerie derartig bedroht zu sehen. Eine grundlegende Schwächung von etwas Größerem schien sich anzukündigen. Die Tram, in der wir saßen, war an den Seiten offen, und über unseren Köpfen war lediglich ein Baldachin aus Plastik. Wir waren Regen und Sturm ungeschützt ausgeliefert. Aber wir hatten die Disney-Regenumhänge. Shell hatte uns alle gezwungen, welche zu kaufen – an einer Tankstelle, vielleicht waren es Fälschungen. Aber sie funktionierten, und indem wir sie alle ausbreiteten und eng zusammenrückten, konnten wir ein Zelt daraus machen. Es muss sehr seltsam ausgesehen haben. Andererseits bin ich überzeugt, dass jede andere Person in dieser Bahn sich wünschte, in unserem Zelt zu sein, und ich bin mir ziemlich sicher, dass sich tatsächlich ein paar fremde Kinder unter uns mischten. Im Zelt, im Dunkeln – die Kinder liebten das. Mimi und Flora schrien jedes Mal vor Angst, wenn es donnerte, aber ihre Angst war aufgeladen mit Freude, und anschließend wurde gelacht. Es war wunderbar, sie schützen zu können. Solange wir nicht direkt vom Blitz getroffen würden, hatten wir die Lösung.
Diese Fahrt habe ihm am besten gefallen, sagte Lil' Dog, als wir ihn später danach fragten.
Mitarbeit an der Übersetzung: Tobias Schnettler
Der wahre Kern der Wirklichkeit
Es war etwa eine Stunde vor Mitternacht im Avalon Nightclub von Chapel Hill, und der Miz war nervös. Ich habe das damals noch gar nicht registriert – ich meine: Ich kapierte es gar nicht. Er sah aus, wie er seit seiner ersten Staffel immer ausgesehen hatte, fand ich, genau wie damals, als ich mich zum ersten Mal für ihn begeistert hatte: leuchtende Augen, symmetrisches Gesicht – ein Kind von genmanipuliertem Mais, mit dem aufgepumpten, unbehaarten Oberkörper des aufstrebenden Profi-Wrestlers und dem typischen Lächeln des Mittleren Westens, das man selbst in der Zeppelintotalen eines Fußballstadions erkennen würde. Er trug ein cooles, frisch gebügeltes Hemd und anstelle seiner alten Stirnfransen neuerdings eine Art Gel-Iro, ein kleines, künstlich gehärtetes Kämmchen mittig auf dem Kurzhaarschnitt.
Auf dem Parkplatz, gleich neben dem Müllcontainer, auf den ein Mitbürger mit weißer Farbe Meat Market – Bitches gesprüht hatte, wies eine Kreidetafel die Laufkundschaft darauf hin, dass heute The Miz am Start sei. Falls jemand Feierlaune hätte. Er kippte Gratis-Kurze von irgendeinem aromatisierten Schnaps und redete mit Studentinnen, nach und nach wurden es mehr und mehr, und sie kamen immer näher. Während er mit ihnen sprach und grinste, wirkte er so harmlos und selbstvergessen, als gehöre Nervosität nicht zu seinem Gefühlsrepertoire. Zugegeben, wir hatten gemeinsam mit Jeremy, dem Besitzer des Clubs (und gutem Kumpel vom Miz), schon ein paar Runden hinter uns gebracht, und mindestens eine davon hatte der Miz mit einem Toast bedacht, der auf seinen bekannten
Lieblingsspruch hinauslief, seinem Motto sozusagen: »Be good. Be bad. Be Miz.« Was einen dürren, bärtigen Typ, der mit uns trank (und zwischendurch noch fleißig alleine), dazu veranlasste, »oder FLANGEY !« zu rufen. Wahrscheinlich hieß er so. Aber ich war noch nicht völlig besoffen, und ich fand, der Miz wirkte, als sei er in Topform. Hinterher würde er allerdings in sein Online-Tagebuch schreiben, dass er nervös gewesen sei, weil ich ihn begleitete, mit
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