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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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Pädophilen machen. Noch kein Verbrechen, jedenfalls solange die Gedankenlese-Maschinen nicht in Gang gesetzt sind.
    Ich plädiere nicht dafür, dass Sie sich Halperins Meinung anschließen, ich würde mir nur wünschen, dass Sie zugestehen, was ich mich genötigt sehe zuzugestehen: dass das psychologische Bild, das Halperin heraufbeschwört, nicht weniger plausibel und vielleicht sogar etwas plausibler ist als jenes andere, in dem Michael die Neverland Ranch als Spinnennetz gebraucht, um kleine Jungs in sein Bett zu locken. Wenn Sie so sind wie ich, dann haben Sie einen großen Teil Ihres Lebens unterbewusst angenommen, dass Letzteres mehr oder weniger der Fall ist. Aber es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass das nie gestimmt hat und dass Michael Kinder mit einer zwar schrägen, aber nicht unmoralischen Zuneigung geliebt hat.
    Sollten Sie Lust haben auf ein verstörendes Gedankenexperiment, dann lassen Sie erst einmal diese, ich will nicht sagen: Fakten, aber vielleicht: Möglichkeitsgebilde sacken und sehen sich noch einmal Martin Bashirs Dokumentarfilm von 2003 an. Es bringt nichts, an dieser Stelle die fortgesetzte Dämonisierung von Bashir zu betreiben, der Michael mit seiner Freundlichkeit mehr oder weniger dazu gebracht hat, sich als ultimativer, Gespielen um sich versammelnder Unhold zu verkaufen, vor allem, wenn man sich vor Augen hält, dass Bashir uns relativ offenherzig in Kenntnis setzt von seinen Vorurteilen Michael gegenüber. Nämlich dass er das mit Michael und den Kindern für wahrscheinlich zutreffend hielt.
    Wenn man den Film aber mit einer zweifelnden Haltung anschaut und sieht, wie Michael seine Unschuld verteidigt und – Händchen haltend mit einem zwölfjährigen Krebsüberleben
den – fragt: »Was ist so falsch daran, Liebe zu teilen?«, oder sich vor Augen führt, wie er viele Jahre vorher in einem merkwürdigen, auf seine Initiative hin veröffentlichten Statement mit kaum verhohlenem Zorn die Demütigung beschreibt, seinen Penis von der Polizei untersuchen lassen zu müssen – verdammt noch mal, dann erscheint sein Leben plötzlich doch in einem ganz anderen Licht. Es ist nicht völlig von der Hand zu weisen, dass Michael eine Art Märtyrer war.
    Wir werden ihn nicht bemitleiden. Dass er sein Schicksal selbst gewählt hat, dass er von vornherein wusste, was der Ruhm mit ihm anstellen, wie er ihn entstellen würde, befreit uns davon, ihn zu idolisieren.
    Trotzdem leidet dieses Land an der Pathologie der Pathologisierung. Es ist eine bürgerliche Krankheit, und wir tun recht daran, sie einen großen Scheißdreck zu nennen. Wir beklagen, dass Michael sein Gesicht verändert hat, weil er sich selbst hasste. Aber vielleicht hat er geliebt, zu was er wurde.
    In den neunziger Jahren hat Ebony ihn in Afrika getroffen. Von Dorfbewohnern in der Elfenbeinküste war er gerade zum König von Sani gekrönt worden. »Sie wissen, dass ich eigentlich keine Interviews gebe«, sagte er in diesem Dorf zu Robert E. Johnson. »Sie sind der Einzige, dem ich genug vertraue, um eine Ausnahme zu machen. Tief im Inneren habe ich das Gefühl, dass die Welt, in der wir leben, eigentlich ein großes, riesiges, monumentales Symphonieorchester ist. Ich glaube, dass die gesamte Schöpfung in ihrer ursprünglichen Gestalt Klang ist, und zwar nicht einfach nur zufälliger Klang, sondern Musik.«
    Mögen dies seine letzten Gedanken gewesen sein.

In unserem Amerika
    Im Prinzip bekriegten sich schon in der ersten amerikanischen Revolution im Jahr 1609 Befürworter und Gegner des Sozialismus. Das wird selten erwähnt. Seitdem spaltet dieser Graben unsere Nation. Lange vor der Sklaverei und dem Völkermord an den Indianern.
    In jenem Jahr sank vor den Bermudas ein Schiff namens Sea Venture. Shakespeares Stück Der Sturm basiert teilweise auf ihrer Geschichte. Die Sea Venture war unterwegs, um die junge Kolonie von Jamestown in Virginia zu unterstützen. Das Schiff war also noch nicht einmal hier angekommen – so früh war das.
    Einige unter den Passagieren hingen separatistischen Ideen an, Brownisten und Familisten, deren Vorstellungen von Gesellschaft und Christentum von radikalen Sekten aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg beeinflusst wurden. Diese Leute waren die Vorfahren der Levellers, Diggers und Quäker (jener Gruppen also, die man aus Christopher Hills 1972 erschienenem Klassiker The World Turned Upside Down. Radical Ideas During the English Revolution kennt). In dieser oder jener Form ging es bei diesen

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