Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
Vom Netzwerk:
impressionistischen Story Songs ausdrücken würde.
    Im Fernsehen liefen Bilder des Marsches, und wir schalteten hin und her zwischen ihnen und einer Sportsendung, die mein Cousin sehen wollte. Die Entfernung zwischen hier oben und dort unten wuchs. Waren wir marschiert, damit meine Verwandtschaft reich bleiben konnte? Waren wir für die Reichen auf die Straße gegangen wie der Typ, der den Gegendemonstranten angemacht hatte? Welch bizarre Wende in der amerikanischen Politik. Der Marsch des 12. September – für den privaten Versicherungskonzern Aetna. Auf dem Weg in die Stadt war ich auf dem Highway an Vans vorbei gekommen, die mit selbst gemachten Pro-Fox-News-Plakaten dekoriert waren.
    Mein Cousin erzählte mir beiläufig, er habe vor drei Monaten mit einem wichtigen republikanischen Senator gefrühstückt, der beim Abschied geschworen habe, »die staatliche Lösung radioaktiv zu verseuchen«.
    Ich bekam schlechte Laune, die konventionelle Hässlichkeit der Menge fiel mir auf. Alles deutete auf unvermischtes germanisches Material hin. Nein, es war falsch zu glauben, solche Leute würden nicht marschieren; sie marschieren mit Fackeln.
    Mein Cousin bekam eine SMS , er musste los. »Viel Glück mit deiner Geschichte«, sagte er. Wir umarmten uns wie Männer.
    » DIESES MAL KOMMEN WIR IN FRIEDEN UND UNBEWAFFNET. DIESES MAL «, stand auf einem der Schilder. Sein Besitzer lächelte allerdings, als stünde er vor dem Studio des Frühstücksfernsehens von NBC .
     
    Ich kam pünktlich zu dem Town Hall Meeting in Virginia, doch die Türen waren zu. Der Raum war bereits überfüllt; die Feuerwehr hatte entschieden. Ein paar von uns warteten vor der Tür. Wenn jemand Neues ankam, folgte immer dasselbe Verbrüderungsritual: »Da ist zu«, murmelten wir freundlich warnend. »Echt? (Er probiert es trotzdem.) Was zum Teufel?« »Genau! Was zum Teufel!«
    Ich fragte eine schlanke rothaarige Frau um die vierzig, was sie hierher verschlagen hatte. »Die Angst«, sagte sie. »Ich habe wirklich Angst vor diesem Präsidenten. Ich meine, die reden jetzt schon über Geburtenkontrolle. Wie viele Kinder man bekommen darf. In unserem Amerika.«
    Ein Mann kam und zog an der Türklinke. »War klar«, sagte er. »Ist ja ein Linker.« (Er meinte den demokratischen Kongressabgeordneten, der die Versammlung abhielt.)
    Die Leute um mich herum schnaubten und brummten verächtlich, es waren aber auch ein paar Gewerkschaftsleute da. »Oh, ein paar von uns sind ziemlich schlau«, sagte einer von ihnen, ein weißbärtiger Kerl.
    »Ach wirklich?«, fragte der Mann.
    »Ja«, sagte der Gewerkschaftsmann. »Ein paar von uns haben sogar Master-Abschlüsse und Doktortitel .«
    Für eine politische Auseinandersetzung war das ziemlich zahm, aber man konnte sehen, dass die Nervosität in unserer kleinen Gruppe wuchs. (Ein paar Tage später würde jemandem während einer Debatte über das Gesundheitssystem ein Finger abgebissen werden. Wir waren bereit.)
    Drei Leute gingen, also ließ der Feuerwehrmann drei neue rein, so funktionierte das hier. Ich brauchte mehr als eine Stunde, um in die Sardinenbüchse von einer Halle zu gelangen, in der sich der Kongressabgeordnete Tom Perriello den Fragen einer sich permanent selbst erneuernden Schlange unzufriedener republikanischer Wähler gegenübersah. Wie sich herausstellte, hätte ich mir keine Sorgen machen müssen, etwas
zu verpassen; die Versammlung würde noch ewig dauern. Jeder, der gekommen, war, schien auch etwas sagen zu wollen.
    Als wir uns langsam dem Saal mit den Mikrofonen näherten, konnte man durch die Türen vereinzelte Worte hören. Am deutlichsten und lautesten vernahmen wir das Wort »Sozialismus«, und darauf folgten auch die mit Abstand heftigsten Reaktionen.
    Ein Mann, den ich von meinem Platz aus nicht sehen konnte, stand auf und sagte zu Perriello (er intonierte eher, als dass er sprach): »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.« Er machte eine Pause. »Nach Karl Marx ist das das Credo des Kommunismus. Und jetzt würde ich gerne wissen: Was ist der Unterschied zwischen diesem Satz . . . und dem, was uns bevorsteht?«
    Das war der einzige Moment an diesem Tag, als im Saal donnernder Applaus ausbrach.
    »Aber das steht in der Bibel«, murmelte ich. »Im Neuen Testament.« (Apostelgeschichte 2 und 4: »Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. [. . .] Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von

Weitere Kostenlose Bücher