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Puls

Puls

Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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fuchtelte wild mit seinem Stock in der Luft herum. Dann rieb er sich den Magen und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Verdammtes Sodbrennen! Entschuldigen Sie mich, Tom - bin nur zu einem Schwätzchen raufgekommen, bevor ich mich selbst ein bisschen hinlege.«
    »Keine Ursache«, sagte Tom und beobachtete den Alten, wie er hinausging. Als das Klacken des Stocks sich ein gutes Stück den Flur entlang entfernt hatte, wandte er sich an Clay und fragte: »Alles in Ordnung mit ihm? Er ist verdammt blass.«
    »Ihm geht's gut, glaube ich.« Er zeigte auf Toms Gesicht. »Ich dachte, du wolltest die andere Hälfte abrasieren.«
    »Ich hab's mir anders überlegt, weil Alice unten rumhängt«, sagte Tom. »Ich mag sie, aber in Bezug auf manche Dinge kann sie sehr boshaft sein.«
    »Das ist bloß Paranoia.«
    »Danke, Clay. Das habe ich gebraucht. Wir sind erst eine Woche unterwegs, und schon fehlt mir mein Psychiater.«
    »In Kombination mit Verfolgungswahn und Größenwahn.« Clay streckte sich auf einem der beiden schmalen Betten aus, faltete die Hände hinter dem Kopf und sah zur Zimmerdecke auf.
    »Du wünschst dir, wir wären fort von hier, stimmt's?«, sagte Tom.
    »Darauf kannst du Gift nehmen.« Er sprach ausdruckslos monoton.
    »Uns passiert nichts, Clay. Wirklich nicht.«
    »Das sagst du, aber du leidest an Verfolgungswahn und an Größenwahn.«
    »Richtig«, sagte Tom, »aber die werden durch ein schlechtes Selbstbild und Egomenstruation in Abständen von ungefähr sechs Wochen ausgeglichen. Und jedenfalls …«
    »… jedenfalls ist es jetzt zu spät, zumindest für heute«, ergänzte Clay.
    »Genau.«
    Und irgendwie war das sogar beruhigend. Tom sagte noch etwas, von dem Clay jedoch nur »Jordan glaubt …« verstand, und dann war er eingeschlafen.



27
    Er wachte schreiend auf oder glaubte das zumindest; erst ein hastiger Blick zu dem anderen Bett hinüber, in dem Tom weiter mit einem zusammengelegten Tuch - vielleicht einem Waschlappen -auf den Augen friedlich schlief, überzeugte Clay davon, dass dieser Schrei nur in seinem Kopf existiert hatte. Vielleicht hatte er ja wirklich irgendwie aufgeschrien, dann aber jedenfalls nicht laut genug, um seinen Zimmergenossen zu wecken.
    Im Gästezimmer war es keineswegs dunkel - inzwischen war es früher Nachmittag -, aber Tom hatte die Jalousie heruntergezogen, bevor er sich selbst aufs Ohr gelegt hatte, und so lag der Raum wenigstens im Halbdunkel. Clay blieb vorerst noch einen Augenblick auf dem Rücken liegen; sein ausgetrockneter Mund schien mit Sägespänen gefüllt zu sein, und die hämmernden Schläge des Herzens gegen seine Brust klangen in seinen Ohren wie von Samt gedämpfte rennende Schritte. Sonst war es im Haus totenstill. Die Umstellung auf eine nächtliche Existenz mochte ihnen noch nicht ganz geglückt sein, aber die letzte Nacht war ungeheuer anstrengend gewesen, und in diesem Augenblick regte sich in der Lodge niemand. Draußen erklang ein Vogelruf, und irgendwo in weiter Ferne - nicht in Gaiten, glaubte er - plärrte hartnäckig eine Alarmanlage.
    Hatte er jemals einen schlimmeren Traum gehabt? Einen vielleicht. Ungefähr einen Monat nach Johnnys Geburt hatte Clay geträumt, er habe das Baby aus seinem Bettchen gehoben, um es zu wickeln, und Johnnys pummeliger kleiner Körper sei ihm in den Händen zerfallen wie eine schlecht zusammengesetzte Puppe. Den hatte er verstehen können - Angst vor Vaterschaft, Versagensangst. Eine Angst, die ihn weiter verfolgte, wie Rektor Ardai erkannt hatte. Aber was war vom jetzigen Traum zu halten?
    Unabhängig davon, was er bedeutete, wollte Clay ihn nicht gleich wieder vergessen, und er wusste aus Erfahrung, dass er sehr rasch handeln musste, um das zu verhindern.
    Am Fenster stand ein Schreibtisch, und in einer Tasche seiner Jeans, die Clay in einem achtlosen Haufen am Bettende hatte liegen lassen, steckte ein Kugelschreiber. Er holte ihn sich, ging barfuß an den Schreibtisch, setzte sich und zog die mittlere Schublade auf. Darin fand er wie erhofft einen kleinen Stapel Briefpapier. Jedes Blatt trug den Aufdruck GAITEN ACADEMY GEGR. 1846 und »Ein junger Verstand ist ein Licht im Dunkel«. Er nahm eines heraus und legte es vor sich auf die Schreibunterlage. Das Licht war trüb, aber es würde ausreichen. Er klickte die Spitze des Kugelschreibers heraus und ging dann kurz in sich, um sich den Traum so lebhaft wie möglich ins Gedächtnis zurückzurufen.
    Tom, Alice, Jordan und er waren in der Mitte eines

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