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Puls

Puls

Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Steinbau und die zur U-Bahn führende Treppe hin und her gewogt hatte, löste sich auf. Einige wenige Leute rannten auf die Straße, zwei von ihnen mit umeinander gelegten Armen, wobei sie sich immer wieder kurz umsahen, während sie davonliefen. Mehr - die meisten - rannten in den Park, alle in verschiedene Richtungen, was Clay gewissermaßen das Herz brach. Irgendwie war ihm bei dem Gedanken an die beiden, die die Arme umeinander gelegt hatten, besser zumute.
    An der U-Bahn-Station waren noch zwei Männer und zwei Frauen, die weiterhin aufrecht standen. Clay war sich ziemlich sicher, dass sie es gewesen waren, die aus der Station kommend alle anderen vertrieben hatten. Während Clay und McCourt einen halben Block entfernt standen und sie beobachteten, fingen diese vier Übriggebliebenen an, miteinander zu kämpfen. Die Schlägerei wies die hysterische, mörderische Brutalität auf, die Clay bereits zuvor gesehen hatte, aber keinen erkennbaren Plan. Hier kämpften nicht drei gegen einen, auch nicht zwei gegen zwei und erst recht nicht die Jungs gegen die Mädchen; tatsächlich war eines der »Mädchen« eine Frau ungefähr Mitte sechzig mit stämmigem Körperbau und einer strengen Frisur, die Clay an mehrere Lehrerinnen kurz vor dem Ruhestand denken ließ, die er früher gehabt hatte.
    Sie kämpften mit Füßen und Fäusten und Nägeln und Zähnen, grunzten und kreischten und umkreisten die Körper von etwa einem Dutzend Leuten, die schon k.o. geschlagen, wenn nicht sogar umgebracht worden waren. Einer der Männer stolperte über ein ausgestrecktes Bein und fiel auf die Knie. Die jüngere der beiden Frauen ließ sich auf ihn fallen. Der Kniende schnappte sich etwas vom Gehsteig oben an der Treppe - Clay sah ohne die geringste Überraschung, dass es ein Handy war - und knallte es der Frau seitlich ans Gesicht. Das zersplitternde Handy riss der Frau die Wange auf, sodass sich über die Schulter ihrer hellen Jacke ein Blutstrom ergoss, aber aus ihrem Schrei sprach eher Wut als Schmerz. Sie packte die Ohren des Knienden wie die Henkelgriffe eines großen Kruges, rammte ihm ein Knie in den Unterleib und stieß ihn rückwärts ins Dunkel der Treppe zur U-Bahn. Sie verschwanden ineinander verschlungen, sich wie rollige Katzen kratzend und beißend, aus dem Blickfeld.
    »Kommen Sie«, murmelte McCourt, indem er merkwürdig zurückhaltend an Clays Hemd zupfte. »Kommen Sie. Auf die andere Straßenseite. Kommen Sie.«
    Clay ließ sich über Boylston Street führen. Er vermutete, dass Tom McCourt sorgsam darauf achtete, welchen Weg sie nahmen, oder er hatte eben Glück, jedenfalls kamen sie heil hinüber. Vor dem Buchladen Colonial Books (Die Besten der Alten, die Besten der Neuen) blieben sie noch einmal stehen und beobachteten, wie die unvermutete Siegerin der Schlacht an der U-Bahn-Station mit großen Schritten in Richtung brennendes Flugzeug in den Park ging, während ihr von den Spitzen ihrer grauen Nulltoleranz-Frisur Blut in den Kragen tropfte. Clay war kein bisschen überrascht, dass die zuletzt noch Stehende sich als die Lady erwies, die wie eine Bibliothekarin oder Lateinlehrerin aussah, die noch ein oder zwei Jahre von einer goldenen Uhr zur Pensionierung entfernt war. Er hatte im Schuldienst etliche solcher Damen kennen gelernt. Wenn sie dieses Alter erst einmal erreicht hatten, waren sie meistens praktisch unzerstörbar.
    Er öffnete den Mund, um irgendetwas in dieser Art zu McCourt zu sagen - er fand es recht witzig -, aber was herauskam, war nichts als ein wässriges Krächzen. Auch sein Blick verschwamm feucht schimmernd. Anscheinend war Tom McCourt, der kleine Mann in dem Tweedanzug, nicht der Einzige, der Schwierigkeiten mit seinem Wasserwerk hatte. Clay fuhr sich mit einem Ärmel über die Augen, versuchte es erneut, brachte aber wieder nur einen dieser wässrigen Krächzlaute heraus.
    »Schon gut«, sagte McCourt. »Lassen Sie's lieber raus.« Und das tat Clay dann auch, während er vor einem Schaufenster voller alter Bücher stand, die eine Schreibmaschine der Marke Royal umgaben, ein Gerät, das aus einer Zeit lange vor der Ära mobiler Kommunikation stammte. Er weinte um Power Suit Woman, um Pixie Light und Pixie Dark, und er weinte um sich selbst, weil Boston nicht seine Heimatstadt war und seine Heimat ihm noch nie so fern erschienen war.

6
    Oberhalb des Stadtparks wurde die Boylston Street enger und war so mit Autos verstopft - mit Autowracks ebenso wie mit einfach stehen gelassenen Wagen -, dass sie

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